Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Nachteilsausgleich Bl. eine der Blindheit gleichzuachtende Störung des Sehvermögens. Beweislast. schwere geistige Behinderung. kombinierte Störung des visuellen "Wahrnehmen-Könnens" und des geistig-seelischen "Verstehen-Könnens"
Orientierungssatz
Lässt sich wegen der ungewöhnlichen Schwere einer geistigen Behinderung, welche als Verarbeitungsstörung unter anderem das "Verstehen-Können" der Seheindrücke betrifft, nicht mehr feststellen, ob daneben auch eine erhebliche Wahrnehmungsstörung besteht, dh ob neben der Verarbeitungsstörung auch die Sehkraft das Gesichtsfeld und/oder die Sehbahn bis hin zur Sehrinde in nennenswertem Umfang beeinträchtigt sind, kann der Nachteilsausgleich "Bl" (Blindheit) nicht zuerkannt werden, weil der behinderte Mensch im Sozialrecht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 13.02.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen “Bl" (Blindheit) ab Antragstellung am 17.04.1996.
Der 1982 geborene, derzeit 23 Jahre alte Kläger erkrankte im Alter von 3 1/2 Monaten im August 1982 an einer schweren Meningo-Enzephalitis (Hirnhautentzündung mit Entzündung des angrenzenden Hirngewebes). In dessen Folge ist eine schwere hirnorganische Schädigung verblieben, welche sich in einer schweren Wahrnehmungsstörung ohne zeitliche und örtliche Orientierung, einer Unfähigkeit zur sprachlichen Äußerung, einem starken auto-aggressiven, d.h. gegen sich selbst gerichteten aggressiven Verhalten, einer schweren frühkindlichen Epilepsie, einem stark ausgeprägten hyperkinetisch-erethischen Syndrom (krankhaft gesteigerter, übermäßiger ruheloser Bewegungsdrang), schweren gesamtmotorischen Störungen sowie einem schweren geistigen Defektsyndrom äußert. Der Kläger ist deshalb aufgrund des Bescheides des Beklagten vom 11.06.1991 mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 und den Merkzeichen “G", “B", “H" und “RF" als schwerbehinderter Mensch anerkannt.
Am 17.04.1996 beantragte der Kläger - vertreten durch seine Eltern - auch die Zuerkennung des Merkzeichens “Bl", weil seine behandelnde Augenärztin praktische Blindheit festgestellt habe.
Der Beklagte zog daraufhin u.a. einen Befundbericht der behandelnden Augenärztin Dr. med. R1. vom 15.05.1996 bei, wonach Angaben zum Sehvermögen nicht möglich seien, weil der Kläger Gegenstände nur zeitweise fixiere und eine geistige Verarbeitung nicht möglich sei. Das Sehvermögen liege beiderseits unter 1/50. Die vorderen Abschnitte der Augäpfel seien bei Sichtkontrolle regelrecht. Der Augenhintergrund könne nicht sicher beurteilt werden. Es bestehe beidseits eine Optikusatrophie (Degeneration der Sehnervenfasern zwischen dem Anfang des Sehnervs am Augenhintergrund und der Sehnervenkreuzung im Zentrum der mittleren Schädelgrube).
Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 03.07.1996, wonach Blindheit im Sinne des Gesetzes nicht festzustellen sei, weil trotz des mehrfach geschädigten Kindes, bei dem wahrscheinlich auch eine schwere Sehschädigung vorliege, eine exakte Beurteilung aufgrund der Hirnschädigung nach den üblichen Kriterien nicht möglich sei, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 07.08.1996 die Zuerkennung des Merkzeichens “Bl" ab, weil Blindheit im Sinne des Gesetzes nicht nachgewiesen sei.
Auf den Widerspruch des Klägers vom 20.08.1996 hin, mit dem dieser im Wesentlichen geltend machte, dass bei ihm anstelle einer verminderten Sehschärfe eine andere Störung des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliege, welcher einer Sehschärfe von nicht mehr als 1/50 entspreche, wie seine behandelnde Augenärztin bestätige, zog der Beklagte ein MDK-Pflegegutachten vom 19.01.1995 sowie ein Gutachten von Dr. med. Q1., Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des V.-Klinikums P., vom 17.06.1998 mit Untersuchung am 16.06.1998 bei.
Während im MDK-Pflegegutachten hinsichtlich der Sinnesorgane eine schwerste Einschränkung bzw. ein völliger Funktionsausfall und der Kläger als fast blind sowie fast taub beschrieben wird, gibt Dr. med. Q1. an, dass eine regelrechte, auch konsensuelle Lichtreaktion bestehe (reflektorische Verengung der Pupille auf Lichteinfall am belichteten und auch am unbelichteten Auge ausgelöst durch die überkreuzten Sehnervenfasern der Sehbahn). Dr. med. Q1. führt weiter aus, dass keine Fixierung und keine Reaktion auf helle Lichtquellen erfolge. Fraglich sei die Angabe der Eltern, dass nur ungezielt nach Gegenständen gegriffen werde, weil der Kläger sehr rasch, aber nicht wiederholbar nach der Untersuchungslampe und auch gezielt nach den Untersuchungspapieren gegriffen habe. Die Ableitung visuell-evozierter Potentiale (durch optisc...