Entscheidungsstichwort (Thema)
gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. haftungsausfüllende Kausalität. unfallbedingte psychische Störung. Anlageleiden. Gelegenheitsursache. Nachweis. generelle Geeignetheit. medizinisches Erfahrungswissen. Straßenbahnführer
Orientierungssatz
1. Zur Anerkennung manifestierter psychischer Störungen (Somatisierungsstörung und ängstliche depressive Störung) eines Straßenbahnwagenführers, der bereits an einer prämorbiden neurotischen Persönlichkeitsstruktur litt, als Folge eines Arbeitsunfalles.
2. Für die Annahme eines Kausalzusammenhanges zwischen einer bestimmten seelischen Erkrankung und einem bestimmten seelisch schädigenden Vorgang kommt es nicht darauf an, ob nach allgemeinem medizinischen Erfahrungswissen die seelische Erkrankung nach einem Vorgang dieser Art gehäuft auftritt bzw ob ein seelisches Trauma der in Rede stehenden Art und Schwere generell geeignet ist, die aufgetretenen Störungen zu verursachen (Abgrenzung von BSG vom 26.1.1994 - 9 RVg 3/93 = SozR 3-3800 § 1 Nr 3).
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 28.09.1993.
Der ... 1954 geborene Kläger erlernte den Beruf des Facharbeiters für Schweißtechnik und übte diesen zunächst geraume Zeit aus. Ab dem 25.05.1981 arbeitete er für die L Verkehrsbetriebe (LVB), seit Anfang 1982 als Triebwagenführer. Er erwies sich im Rahmen zweier am 30.06.1992 und am 27.09.1993 vorgenommener Straßenbahnfahreruntersuchungen als physisch und psychisch unauffällig (Stellungnahme von Dr. W, Betriebsärztlicher Dienst der LVB, vom 14.02.1996; ärztliche Bescheinigung vom 27.09.1993, Blatt 47 der SG-Akte).
Am 28.09.1993 lenkte er den zur Gleispflege eingesetzten Arbeitswagen 5024. Gegen 8.26 Uhr prallte er stadtauswärts fahrend frontal mit dem stadteinwärts fahrenden Straßenbahnzug der Linie 13 in Höhe der H/T Straße zusammen. Dort befindet sich ein signalgeregelter, eingleisiger Streckenabschnitt, der sehr unübersichtlich ist. Entgegenkommende Straßenbahnzüge haben keinen ausreichenden Sichtkontakt. Bereits 1991 hatte sich auf diesem Streckenabschnitt ein schwerer Unfall ereignet. Etliche Fahrgäste wurden leicht verletzt, die beiden Triebwagenführer und ein weiterer sich beim Kläger im Führerstand befindender Arbeitnehmer wurden erheblich verletzt. Letzterer zog sich Verletzungen zu, als er unmittelbar vor dem Zusammenstoß reflexartig von dem mit etwa 15 km/h fahrenden Arbeitswagen absprang. Der Kläger gab am 01.11.1993 gegenüber der Polizei an, er habe beim Erkennen des bevorstehenden Zusammenstoßes seinen Beifahrer aufgefordert abzuspringen, selbst die Beine angehoben und eine Gefahrenbremsung eingeleitet. An den beiden am Zusammenstoß beteiligten Triebwagen entstand erheblicher Sachschaden (vgl. Bilddokumentation auf Blatt 88 der Akte ... der Staatsanwaltschaft Leipzig; Blatt 94 ff. und 318 der Beklagtenakte). Aufgrund der von der Staatsanwaltschaft Leipzig am 26.04.1994 beim Amtsgericht Leipzig erhobenen Anklage wurde der Fahrer des Straßenbahnzuges der Linie 13 durch Urteil vom 02.11.1994 wegen fahrlässiger Körperverletzung in zehn Fällen rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt.
Infolge des Zusammenstoßes war der Kläger zunächst in seinem Arbeitswagen eingeklemmt. Die Tür nach außen war blockiert. Nachdem er befreit worden war, wurde er sogleich in die Chirurgische Klinik III der Universität L eingeliefert. Dort erhob Dr. S am Unfalltag folgende Befunde: Stechende Schmerzen im rechten dorsalen Bereich der 3. bis 6. Rippe, dort auch Druckschmerz und Schmerzen bei Kompression, keine tastbare Knochenstufe; Wirbelsäule ohne Befund; am rechten Oberschenkel multiple Schürfwunden bei schmerzhafter Muskelverspannung ohne tastbaren Muskelfaserriss; Platzwunde am rechten Unterschenkel; schmerzhafte Einschränkung der Dorsalextension des linken Fußes; multiple Splitterwunden durch Frontscheibenglas im Bereich der rechten Hand, nicht blutend. Diagnostiziert wurde eine Fraktur der 1. Rippe rechts dorsal und eine Kontusion des linken Vorfußes sowie der rechten Thoraxseite. Wegen der röntgenologischen Nachbefundung der am Unfalltag erstellten Röntgenaufnahmen wird auf die Angaben von Prof. Dr. Sch und Dipl.-Med. K vom 20.10.1993 verwiesen (Blatt 28 der Beklagtenakte). Dr. S versorgte den linken Vorfuß mit einem Stützverband und bescheinigte Arbeitsunfähigkeit bis 01.10.1993. Danach wurde der Kläger nach Hause entlassen. Die Arbeitsunfähigkeit bestand jedoch darüber hinaus bis zum 24.10.1993 fort. Vom 25.10. bis 08.11.1993 war der Kläger als Straßenbahnfahrer tätig (Blatt 127 der Beklagtenakte). Dr. S stellte in ihrem Krankheitsbericht vom 16.12.1993 dieselben Diagnosen wie Dr. S und teilte der Beklagten mit, der Kläger sei jetzt beschwerdefrei. Diese Angaben beruhten auf der Behandlung des Klägers, die am 25.10.1993 abgeschlossen worden war.
Am 09.11.1993 suchte der Kläger die Praktische Ärztin...