Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Betriebskostenguthaben. unzulässige Aufrechnung mit Mietrückständen. Hinweis- und Beratungspflichten des Grundsicherungsträgers
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage einer Hinweis- und Beratungspflicht eines Jobcenters bei einer unzulässigen Aufrechnung eines Betriebskostenguthabens mit Mietschulden durch den Vermieter (Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung: vgl LSG Chemnitz vom 21.9.2017 - L 3 AS 480/12).
Tenor
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 14. Juli 2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger wehren sich gegen Rücknahme- und Erstattungsbescheide des Beklagten, mit denen für Unterkunft und Heizung gezahlte Leistungen zurückgefordert werden.
Die miteinander verheirateten Kläger beziehen als Bedarfsgemeinschaft seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Im streitgegenständlichen Zeitraum zahlten sie für ihre Wohnung eine Grundmiete in Höhe von monatlich 336,60 EUR zuzüglich einer Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von monatlich 198,00 EUR.
Nachdem zuvor wegen schwankenden Einkommens der Klägerin zu 1, die als Selbständige ein Schreib- und Spielwarengeschäft betrieb, lediglich vorläufige Bewilligungen vorgenommen worden waren, nahm der Beklagte mit zwei Bescheiden vom 12. Januar 2010 die endgültige Festsetzung der Leistungen im Zeitraum Februar bis September 2008 vor. Für den Zeitraum vom 1. Februar 2008 bis zum 10. April 2008 bewilligte er monatlich 474,21 EUR, davon für Unterkunft und Heizung monatlich jeweils 205,80 EUR und für den Zeitraum ab dem 11. April 2008 monatlich 671,47 EUR, davon wiederum 205,80 EUR für Unterkunft und Heizung.
In einem anderen Zusammenhang forderte der Beklagte die Kläger unter dem 3. August 2011 auf, die Betriebskostenabrechnungen der Jahre 2005 bis 2010 vorzulegen. Am 31. August 2011 legten die Kläger die Betriebskostenabrechnung vom 17. März 2008 für den Zeitraum vom 1. April 2006 bis zum 17. März 2007 vor, die ein Guthaben von 754,87 EUR ergab, das der Vermieter mit Mietschulden der Kläger verrechnet hatte.
Mit Schreiben jeweils vom 7. November 2011 hörte der Beklagte die Kläger zur möglichen (Teil-)Aufhebung der bewilligten Leistungen nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) an. Eine Stellungnahme der Kläger erfolgte nicht.
Mit Bescheiden vom 19. Januar 2012 hob der Beklagte die Bewilligung von Kosten der Unterkunft und Heizung für den Monat April 2008 hinsichtlich der Klägerin zu 1 und des Klägers zu 2 in Höhe von jeweils 205,80 EUR sowie für den Monat Mai 2008 hinsichtlich der Klägerin zu 1 in Höhe von 171,62 EUR und hinsichtlich des Klägers zu 2 in Höhe von 171,65 EUR auf und forderte die Leistungen zurück. Die Widersprüche vom 23. Februar 2012 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 3. Juli 2012 zurück.
Die beiden Klagen vom 2. August 2012 (Az. S 32 AS 5214/12 und S 32 AS 5216/12) hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 21. Juni 2016 verbunden. Mit Urteil vom 14. Juli 2016 hat es die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 19. Januar 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 3. Juli 2012 abgeändert und die Erstattungsforderung gegen die Klägerin zu 1 auf 265,69 EUR und die Forderung gegen den Kläger zu 2 auf 265,70 EUR reduziert. Rechtsgrundlage der angefochtenen Rücknahme- und Erstattungsbescheide seien die Regelungen in § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X sowie § 50 SGB X, § 330 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III). Mit den Bescheiden vom 12. Januar 2010 seien die den Kläger zustehenden Leistungen endgültig festgesetzt worden. Sie seien von Anfang an rechtswidrig, soweit das Betriebskostenguthaben in Höhe von 754,87 EUR aus der Betriebskostenabrechnung vom 17. März 2008 in den Leistungsmonaten April und Mai 2008 nicht nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (a. F.) bedarfsmindernd berücksichtigt worden sei. Die Rücknahme- und Erstattungsbescheide seien formell rechtmäßig; insbesondere seien die Kläger vor Erlass der Bescheide ordnungsgemäß angehört worden. In materieller Hinsicht seien sie teilweise rechtswidrig. Zwar sei das Betriebskostenguthaben in den Leistungsmonaten April und Mai 2008 nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F. bedarfsmindernd zu berücksichtigen gewesen. Dabei habe allerdings die Anrechnung auf den tatsächlichen Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung und nicht, wie vom Beklagten vorgenommen, auf den als angemessen angesehenen Bedarf erfolgen müssen. Es ergebe sich insoweit eine Reduzierung der Erstattungsforderungen gegen die Kläger. Die Leistungsberechnung im Übrigen, insbesondere die Anrechnung erzielten Einkommens aus Erwerb...