Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung eines Gesamt-GdB. Zurückverweisung wegen unterbliebener Sachverhaltsaufklärung und Verfahrensfehler durch das Sozialgericht. Gerichtsbescheid. geklärter Sachverhalt. Funktionseinschränkungen. Merkzeichen G. Gehvermögen
Orientierungssatz
1. Eine stärker behindernde seelische Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ist nach VersMedV B Nr. 3.7 mit einem GdB von 40 zu bewerten.
2. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist von der Funktionsbehinderung mit dem höchsten GdB-Wert auszugehen. Selbst fünf weitere Funktionsbeeinträchtigungen führen dann nicht zu einer Anhebung des GdB auf einen Wert von 50, wenn diese jeweils mit einem GdB von 10 zu bewerten sind.
3. Für die Vergabe des Merkzeichens "G" muss objektiv feststehen, dass die Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr Folge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens ist. Dazu müssen die Behinderungen, die sich auf das Gehvermögen auswirken, grundsätzlich einen GdB von 50 erreichen.
4. Sind weitere Ermittlungen in Bezug auf die Höhe des GdB bzw. auf das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" erforderlich, so kann das Landessozialgericht nach § 159 SGG den Rechtstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht zurückverweisen.
Normenkette
SGG § 103 S. 1, § 105 Abs. 1, § 159 Abs. 1 Nr. 2
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 28. August 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Chemnitz zurückverwiesen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 40 und die Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G".
Ein von der am ... 1984 geborenen Klägerin am 25. Januar 2002 beim Amt für Familie und Soziales Chemnitz gestellter Antrag auf Feststellung von Behinderungen, des GdB und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises hatte keinen Erfolg (bestandskräftig gewordener Bescheid des Amtes für Familie und Soziales Chemnitz vom 30. Mai 2002).
Am 22. November 2012 stellte die Klägerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung, des GdB und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises nach § 69 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX). Gleichzeitig wurde die Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" geltend gemacht. Zur Begründung vorgelegt wurde auch ein vorläufiger Arztbericht der F.-Klinik in B. vom 28. Dezember 2010.
Der Beklagte holte verschiedene Befundberichte ein:
- von Dr. H. (Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde in Z.), vom 21. Januar 2013
- von Dipl.-Med. G. (Praktischer Arzt in Z.), vom 21. Januar 2013; Diagnosen: Adipositas III. Grades, Diabetes mellitus Typ II [ED 2010, diätetisch], manifeste Persönlichkeitsstörung, Hypothyreose, Laktoseintoleranz.
- von Dipl.-Med. S. (Fachärztin für Orthopädie in Z.), vom 8. März 2013; Diagnosen: 5. März 2012 Adipositas (mit Body-Mass-Index von 40 und mehr); 14. Februar 2013 sonstige Rückenschmerzen: Lumbosakralbereich und sonstige sekundäre Koxarthrose; 21. Februar 2013 sonstige näher bezeichnete Bandscheibenverlagerung; 7. März 2013 Spondylarthrose der Lendenwirbelsäule. U. a. wurden die Bewegungsmaße des linken Hüftgelenkes vom 14. Februar 2013 mitgeteilt: E/F 0/0/90 (adipositasbedingt), IR/AR 30/0/60, Ab/Ad 40/0/50, Beinverkürzung 1,0 cm; Röntgenbefund der linken Hüfte in zwei Ebenen vom 14. Februar 2013: subchondrale Sklerosierung des Acetabulums, pilzförmige Deformierung des Hüftkopfes, Gelenkspalt ausreichend weit, Coxa vara symptomatica, keine Veränderung zum Vorbefund 2009.
- einen Bericht der Dipl.-Psych. M. (Psychologische Psychotherapeutin in Z.), vom 22. März 2013, Eingangsdiagnose: ICD-10-GM F 34.1, mit abhängigen, selbstunsicheren Persönlichkeitszügen. Die Klägerin habe sich vom 25. Januar 2010 bis 20. Dezember 2011 in ihrer Behandlung befunden. Am Ende der Therapiesitzung seien einige Restsymptomatiken wie Angst vor dem Verlust ihrer Mutter, Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit und Trennungsängste von der Familie noch vorhanden gewesen.
- von Dr. G. (Hautarzt in Z.), der unter dem 22. März 2013 von folgenden Diagnosen berichtete: Ecthymata bei diabetogener Stoffwechsellage, pruriginöse Dermatitis.
Für den Ärztlichen Dienst gelangte Dr. E. unter dem 4. April 2013 zur Einschätzung eines Gesamt-GdB von 40 (Bronchialasthma - Einzel-GdB 10, Lockerung des Kniebandapparates beiderseits und Knorpelschäden am Kniegelenk beiderseits - Einzel-GdB 10, Funktionsbeeinträchtigung des Hüftgelenks links - Einzel-GdB 10, Schilddrüsenunterfunktion und Adipositas jeweils Einzel-GdB 0, seelische Störung - Einzel-GdB 40, chronische Nebenhöhlenentzündung - Einzel-GdB 0, Hautinfektion [Ecthymata] - Einzel-GdB 10).
Mit Bescheid vom 29. April 2013 stellte der Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 40 fest. Die Voraussetzunge...