Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Aufforderung zur Beantragung der vorzeitigen Altersrente mit Rentenabschlägen. Unbilligkeitstatbestände. keine erweiternde Auslegung von § 3 UnbilligkeitsV. keine analoge Anwendung. Verfassungsmäßigkeit. Übergang der Antragsbefugnis auf Grundsicherungsträger. keine Befugnis des Grundsicherungsträgers zum Widerspruch gegen Rentenbescheid
Leitsatz (amtlich)
1. In § 3 UnbilligkeitsV wird auf ein Zeitmoment ("in nächster Zukunft") abgestellt. Eine erweiternde Auslegung, bei der an die Stelle dieses Zeitaspekt der finanzielle Aspekt des geringen Umfanges des Anspruches auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II treten würde, würde die Wortlautgrenze der Regelung in § 3 UnbilligkeitsV überschreiten.
2. Für eine analoge Anwendung von § 3 UnbilligkeitsV auf Fälle, in denen ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II nur in geringem Umfang besteht, fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke.
3. Die Regelungen in SGB II zur Pflicht, eine vorzeitige Altersrente beantragen zu müssen, sind verfassungsgemäß.
4. Wenn im Rahmen von § 12a SGB II die Wahl zwischen zwei vorrangigen Sozialleistungen besteht, hat diejenige Sozialleistung Vorrang, mit der die Hilfebedürftigkeit des Leistungsberechtigten weitergehend verkürzt oder vermindert oder sogar in Gänze beseitigt wird.
5. § 5 Abs 3 S 1 SGB II ermächtigt ein Jobcenter nicht, Widerspruch gegen den Bescheid eines Rentenversicherungsträgers, mit dem eine Regelaltersrente bewilligt worden ist, einzulegen.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 22. März 2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Antragsteller wendet sich gegen die Aufforderung des Beklagten, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen.
Der am 1952 geborene Kläger war erwerbslos. Er bezog eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft Bahn See (im Folgenden: Rentenversicherungsträger) ab 1. Juli 2015 in Höhe von 828,03 EUR brutto (= 736,54 EUR netto) und ab 1. Juli 2016 in Höhe von 877,25 EUR brutto (= 780,31 EUR netto). Ergänzend bezog er zusammen mit seiner 1956 geborenen Ehefrau vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweiten Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Ihnen wurde vom Beklagten mit Bescheid vom 8. Oktober 2015 für November 2015 bis April 2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 30. Oktober 2015 für Januar 2016 bis April 2016 und vom 12. November 2015 für November 2015 bis Dezember 2015 zunächst vorläufig und sodann mit Änderungsbescheid vom 11. Mai 2016 für Februar 2016 bis April 2016 endgültig Leistungen bewilligt. Auf den Kläger entfielen 78,79 EUR für Februar 2016, 0,00 EUR für März 2016 und 102,67 EUR für April 2016.
Der Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben vom 10. Dezember 2015, dass Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld II ab dem 1. Januar 2008 entstanden sei und für die kein Bestandsschutz bestehe, grundsätzlich ab Vollendung des 63. Lebensjahres verpflichtet seien, eine Rente wegen Alters vorzeitig, das heiße auch mit Abschlägen, in Anspruch zu nehmen, soweit keine der in der Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente (Unbilligkeitsverordnung - UnbilligkeitsV) geregelten Ausnahmetatbestände zuträfen. Der Kläger wurde aufgefordert, seine Rentenauskunft vorzulegen.
Am 25. Januar 2016 reichte der Kläger das Schreiben des Rentenversicherungsträgers vom 19. Januar 2016 ein. Nach der Proberechnung habe er seit 1. Juni 2015 Anspruch auf eine vorzeitige Altersrente für langjährig Versicherte mit Abschlägen in Höhe von 9 %. Bei einem Rentenbeginn ab 1. Januar 2016 betrügen die Abschläge 6,9 %. Ab 1. Dezember 2017 bestehe Anspruch auf eine Altersrente für langjährig Versicherte ohne Abschläge. Der Rentenbetrag (ohne Abzug von Beiträgen) belaufe sich voraussichtlich auf 1.308,87 EUR monatlich.
Der Beklagte forderte den Kläger mit Bescheid vom 24. Februar 2016 auf, umgehend eine Altersrente zu beantragen und dies bis zum 23. März 2016 nachzuweisen. Unter demselben Tag wandte sich der Beklagte an den Rentenversicherungsträger und machte einen Erstattungsanspruch für den Fall, dass dem Kläger eine Altersrente ab 1. April 2016 bewilligt werde, geltend.
In seinem gegen den Aufforderungsbescheid gerichteten Widerspruch trug der Kläger vor, dass er es ablehne, vorzeitig in Altersrente zu gehen, weil ihn die Abschläge bis zum Lebensende begleiten würden. Er habe aus gesundheitlichen Gründen aus dem Arbeitsleben ausscheiden müssen. Er sehe auch keinen Grund, finanziell in ein Loch fallen zu müssen, da er immerhin Erwerbsminderungsrente beziehe. Im Juni 2016 stehe eine Rentenerhöh...