Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Zulässigkeit der Nutzung von Ermittlungsergebnissen des Hauptzollamtes. keine Außerkraftsetzung der Sozialversicherungspflicht durch vertragliche Vereinbarungen. Ausschluss der Anwendung von § 7b SGB 4 bei Vorliegen von bedingtem Vorsatz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Rentenversicherungsträger können ihre Entscheidungen in Betriebsprüfungsverfahren auf Ermittlungsergebnisse des Hauptzollamtes stützen. § 28p Abs 1 Sätze 2 und 3 SGB IV beschreiben nur Sonderfälle des Vorziehens einer Betriebsprüfung (Fortführung von LSG Chemnitz vom 22.4.2016 - L 1 KR 228/11).

2. Die Sozialversicherungspflicht kann durch vertragliche Vereinbarungen nicht abbedungen werden.

3. Auch bedingter Vorsatz schließt die Anwendung von § 7b SGB IV aus. Dabei ist das Wissen eines vertretungsberechtigten Organmitglieds jedenfalls dann als Wissen des Organs anzusehen und der juristischen Person zuzurechnen, wenn keine Organisationsstrukturen zur Aufnahme und Weitergabe von Informationen geschaffen wurden.

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 8. Dezember 2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 37.557,16 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 3. September 2001 bis 30. April 2004.

Die Klägerin betreibt eine private Krankenanstalt (Fachklinik für medizinische Rehabilitation). Als Geschäftsführer traten Z... und Dr. Y... auf. Im streitgegenständlichen Zeitraum waren der Beigeladene zu 2 als Facharzt für Orthopädie (3. September 2001 bis 31. Dezember 2001), der Beigeladene zu 3 ebenfalls als Facharzt für Orthopädie (1. Mai 2002 bis 30. September 2003) und der frühere Beigeladene zu 1 als Facharzt für Gynäkologie (1. Mai 2002 bis 30. April 2004) dort tätig.

Das Hauptzollamt O... - Finanzkontrolle Schwarzarbeit - setzte die Beklagte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen die Geschäftsführerin Dr. Y... wegen des Verdachts des Beitragsbetruges und der Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt durch Schreiben vom 21. November 2006 über die Tätigkeiten der drei Fachärzte in Kenntnis "mit der Bitte um Berechnung der Sozialversicherungsabgaben von 3 Arbeitnehmern" der Klägerin (Eingang bei der Beklagten am 23. November 2006). Diesem Schreiben waren unter anderem die die oben genannten Personen betreffenden Jahreskonten der Klägerin beigefügt, ferner die im Folgenden erwähnten Ermittlungsunterlagen.

Der Geschäftsführer Z... teilte der Rechtsvorgängerin der Beklagten durch Schreiben vom 31. August 2001 (Betreff: "Ärztliche Besetzung der orthopädischen Abteilung") mit:

"wie Ihnen bekannt ist, hat Frau Dr. X... zum 31. August 2001 unser Unternehmen verlassen.

Um zu gewährleisten, dass die orthopädische Abteilung mit einem Facharzt für Orthopädie besetzt ist, ist ≪der Beigeladene zu 2≫, Arzt für Orthopädie, ab 3. September 2001 eingestellt worden.

...

Wir sichern Ihnen zu, dass die ärztliche Betreuung in der orthopädischen Abteilung zunächst mit ≪dem Beigeladenen zu 2≫, Arzt für Orthopädie, abgesichert ist.

..."

Die Verwaltungsdirektorin der Klägerin, Dr. W..., führte gegenüber dem früheren Beigeladenen zu 1 in ihrem Schreiben vom 28. Oktober 2003 unter anderem aus:

"Wir haben uns mit Ihnen auf den jetzt gültigen Tagessatz geeinigt, weil wir Ihnen eine längerfristige Beschäftigung anbieten können. Die Art der Beschäftigung, die sie in unserem Haus ausfüllen, entspricht in ihrem Charakter einem längerfristigen Arbeitsverhältnis und nicht einer kurzfristigen Honorartätigkeit mit ihren Belastungen des ständig wechselnden Arbeitsplatzes.

...

Der Inhalt dieses Schreibens wurde mit unserem Geschäftsführer Herrn Z... und Herrn Chefarzt Dr. V... abgestimmt."

In einem Aktenvermerk des Finanzamts U... - Stadt vom 2. Juni 2004 wurde durch den Prüfer T... dargelegt:

"Während der in der Zeit vom 24. bis 27. Juni 2004 durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung legte mir die Lohnbuchhalterin, Frau S..., u.a. Unterlagen bezüglich des ≪früheren Beigeladenen zu 1≫, des ≪Beigeladenen zu 2≫ und des ≪Beigeladenen zu 3≫ vor und erklärte, diese führten ganz normale Facharzttätigkeiten aus. Die Bezahlung laufe jedoch nicht über das Lohnbüro.

Nachdem der Verwaltungsdirektorin, Dr. W..., das Schreiben der Q...Klinik an den ≪früheren Beigeladenen zu 1≫ vom 28. Oktober 2003, das Schreiben der Q...Klinik an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 31. August 2001 und die Gesprächsnotiz vom 11. Juni 2003 vorgelegt wurde, erklärte diese, die betroffenen Ärzte führten nur ganz normale Facharzttätigkeiten aus. Nach Rückfrage erklärte Frau Dr. W..., die Tätigkeit der drei Ärzte wurde vorher von Arbeitnehmern ausgeführt. Auf erneute Rückfrage, wie sich die Tätigkeit der drei Ärzte von der Tätigkeit der vorher im Arbeitsverhältnis angestellten Ärz...

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