Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Regresses wegen unzulässiger Arzneimittelverordnung
Orientierungssatz
1. Nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung ausgeschlossen. Nur diejenigen Arzneimittel, die genau die in einer Unterziffer der Nr. 16.4 der Arzneimittel-Richtlinien aufgeführte Beschaffenheit haben, kommen als Standardtherapeutika zur Behandlung der jeweils genannten Erkrankung in Betracht.
2. Ist der Krankenkasse durch die Verordnung und Abrechnung eines nichtverschreibungspflichtigen Arzneimittels ein Schaden entstanden, so kann die Prüfungseinrichtung der Kassenärztlichen Vereinigung nach § 44 Abs. 3 EKV-Ä auf den Schadensersatzanspruch einen Vorteilsausgleich anrechnen, wenn feststeht, dass der Vertragsarzt anstelle der ausgeschlossenen Leistung eine andere zulässige verordnet hätte. Diese Regelung beschränkt sich auf die Ersatzkassen.
3. In allen anderen Fällen kann dem Schadensersatzanspruch einer Krankenkasse wegen unzulässiger Arzneimittelverordnung mangels bestehender Ermächtigungsgrundlage nicht der Einwand ersparter Aufwendungen entgegengehalten werden.
4. Der Schadensersatzanspruch setzt kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Verschuldenserfordernis im Rahmen von Honorarkürzungen und Verordnungsregressen nicht besteht.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 26. März 2008 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 55,83 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Verordnungskostenregresses.
Der zu 1 beigeladene Vertragsarzt verordnete im Quartal IV/2004 zwei Versicherten der zu 2 beigeladenen Krankenkasse zu deren Lasten die Arzneimittel Ferro-Folsan und Folicombin. Bei den verordneten Arzneimitteln handelt es sich um nicht verschreibungspflichtige, chemisch definierte Antianämika von Eisen in Kombinationen mit Folsäure. Durch die Verordnungen entstanden der Beigeladenen zu 2 unter Abzug von Apothekenrabatt und Zuzahlung Kosten in Höhe von insgesamt 55,83 EUR.
Die Beigeladene zu 2 beantragte die Feststellung eines sonstigen Schadens nach § 12 der Prüfungsvereinbarung zwischen den Gesamtvertragsparteien in Sachsen vom 14.04.2005 (im Folgenden: Prüfungsvereinbarung) und beanstandete neben der Verordnung der Arzneimittel Ferro-Folsan und Folicombin auch diejenige des - hier nicht streitigen - Arzneimittels Espa Lipon. Der Beigeladene zu 1 begründete die Verordnungen unter Hinweis auf Nr. 16.4.14 und 16.4.39 der Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (im Folgenden: Arzneimittel-Richtlinien). Der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen Sachsen stellte mit Bescheid vom 11.10.2006 fest, dass der Beigeladenen zu 2 ein Schaden von 107,14 EUR entstanden sei, wovon 55,83 EUR auf die Arzneimittel Ferro-Folsan und Folicombin entfielen. Nach Nr. 16.4.14 der Arzneimittel-Richtlinien seien Eisen-(II)-Verbindungen nur zur Behandlung gesicherter Eisenmangelanämie verordnungsfähig. Fixe Kombinationen aus einer Eisen-(II)-Verbindung und Folsäure gehörten nicht zu dieser Ausnahme.
Gegen den Prüfbescheid legte die klagende Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) hinsichtlich der Arzneimittel Ferro-Folsan und Folicombin Widerspruch ein. Der Beigeladenen zu 2 sei kein Schaden entstanden. Die Verordnung eines Eisenpräparates sei medizinisch indiziert und als Monopräparat nach Nr. 16.4.14 der Arzneimittel-Richtlinien zulässig gewesen. Durch die Verordnung eines Kombinationspräparates seien keine Mehrkosten entstanden, weil der Festbetrag für das Monopräparat identisch sei mit demjenigen für die Eisen-Folsäure-Kombination. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies mit Bescheid vom 23.04.2007 den Widerspruch zurück. Auch wenn der Festbetrag für ein Eisen-Monopräparat identisch sei mit demjenigen für die Eisen-Folsäure-Kombination mit gleicher Eisenmenge seien ersparte Aufwendungen nicht abzusetzen.
Die Klägerin hat am 23.05.2007 beim Sozialgericht Dresden (SG) Klage erhoben. Sie hat vorgebracht, die Verordnung eines Kombinationspräparates entspreche zwar formal nicht Nr. 16.4.14 der Arzneimittel-Richtlinien. Doch sei der Beigeladenen zu 2 kein Schaden entstanden, weil der im Kombinationspräparat mit enthaltene Wirkstoff Folsäure für den Festbetrag irrelevant sei. Der Beklagte und die Beigeladene zu 2 haben erwidert, ein Schaden entstehe auch, wenn ein Alternativarzneimittel gleiche Kosten verursacht hätte. Eine Vorteilsausgleichung oder Saldierung sei nicht statthaft.
Mit Urteil vom 26.03.2008 hat das SG die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Der Beigeladenen zu 2 sei aufgrund der unzulässigen Verordnung von Ferro-Folsan und Folicombin ein Schaden entstanden. Diese nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel seien nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) grundsätzli...