Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneimittelregress bei Verordnung eines nicht zugelassenen Arzneimittels. keine Saldierung tatsächlich angefallener Kosten mit den bei rechtmäßigem Alternativverhalten entstandenen hypothetischen Arzneimittelkosten
Leitsatz (amtlich)
Verordnet der Vertragsarzt zu Lasten der Krankenkasse ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel, für das keine Ausnahmeindikation in der sog. OTC-Liste nach Abschnitt F Nr. 16 der Arzneimittel-Richtlinien vorgesehen ist (hier: Kombinationspräparat aus Eisen- und Folsäure), so kann er einem Arzneimittelregress nicht entgegen halten, der Krankenkasse sei kein Schaden entstanden, weil bei der hypothetischen Verordnung eines nach der OTC-Liste verordnungsfähigen Alternativpräparats (hier: Eisen als Monopräparat) wegen des selben Arzneimittelfestpreises Kosten in gleicher Höhe angefallen wären; es erfolgt keine Gegenrechnung ersparter Aufwendungen (Anschluss an Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 09.05.2006, Az. L 4 KA 14/04).
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
III. Die Berufung ist zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 6,84 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Mit ihrer Klage wendet sich die Kassenärztliche Vereinigung gegen einen gegenüber dem zu 1 beigeladenen Vertragsarzt festgesetzten Verordnungsregress wegen der vertragsärztlichen Verschreibung eines Kombinationspräparates.
Der Beigeladene zu 1 verordnete im Quartal IV/2004 einer gesetzlich Versicherten der Beigeladenen zu 2 als Weiterverordnung zur Behandlung einer postoperativen Anämie nach einem gynäkologischen Eingriff auf vertragsärztlichem Verordnungsvordruck vom 15.11.2004 ferro sanol®gyn Kapseln, Packungsgröße N2 (50 Stück), ein nicht verschreibungspflichtiges chemisch definiertes Antianämikum von Eisen in Kombinationen mit Folsäure zur Behandlung eines kombinierten Eisen- und Folsäure-Mangels. Der Wirkstoffgehalt der darin enthaltenen 454,13 mg Eisen-(II)-glycin-sulfat-Komplex entspricht 80 mg Fe 2+ ; der Wirkstoffgehalt an Folsäure beträgt 1 mg. Der Apothekenabgabepreis belief sich auf 12,46 EUR, der Apothekenrabatt auf 0,62 EUR, die Versicherte leistete eine Zuzahlung in Höhe von 5,00 EUR. Die Beigeladene zu 2 wurde mit 6,84 EUR belastet.
Der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen stellte auf Grund seiner Entscheidung vom 01.09.2006 mit Prüfbescheid vom 15.09.2006 fest, dass der Beigeladenen zu 2 durch fehlerhafte Verordnungsweise im Quartal IV/2004 ein Schaden von 247,94 EUR entstanden sei, der ihr zu erstatten sei. Hiervon entfielen 6,84 EUR auf die Verordnung der ferro sanol®gyn Kapseln. Gemäß Nr. 16.4.14 der Arzneimittel-Richtlinien (AMR) seien Eisen-(II)-Verbindungen nur zur Behandlung gesicherter Eisenmangelanämie verordnungsfähig. Fixe Kombinationen aus einer Eisen-(II)-Verbindung und Folsäure gehörten nicht zu dieser Ausnahme.
Gegen den Prüfbescheid erhob die Klägerin am 20.10.2006 mit Schreiben vom 19.10.2006 hinsichtlich der Verordnung von ferro sanol®gyn Kapseln Widerspruch. Der Beigeladenen zu 2 sei kein Schaden entstanden. Die Verordnung sei medizinisch indiziert und nach Nr. 16.4.14 AMR zulässig gewesen. Mehrkosten seien durch die Verordnung eines Kombinationspräparates nicht entstanden, weil die Festsetzung des durch die Kasse zu erstattenden Festbetrages ausschließlich nach dem Eisengehalt und der Packungsgröße erfolge. Somit sei der Festbetrag für das Monopräparat identisch mit dem Festbetrag für die Eisen-Folsäure-Kombination mit gleicher Eisenmenge.
Der Beklagte wies auf Grund seiner Entscheidung vom 31.01.2007 mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.2007 , der am selben Tag abgesandt wurde, den Widerspruch der Klägerin zurück. Auch wenn der Festbetrag für ein Eisen-Monopräparat mit dem Festbetrag für eine Eisen-Folsäure-Kombination gleicher Eisenmenge identisch sei, seien ersparte Aufwendungen nicht abzusetzen.
Hiergegen richtet sich die am 23.05.2007 beim Sozialgericht Dresden eingegangene Klage, mit der die Klägerin eine Neubescheidung ihres Widerspruchs unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt. Die Verordnung des Kombinationspräparates entspreche zwar formal nicht der Regelung in Nr. 16.4.14 AMR, weil kein Monopräparat verordnet worden sei. Der geltend gemachte Schaden sei der Beigeladenen zu 2 indessen nicht entstanden, weil der im Arzneimittel mit enthaltene Wirkstoff Folsäure für den Festbetrag irrelevant sei. Hätte der Beigeladene zu 1 sich für ein Monopräparat entschieden, wären Kosten in gleicher Höhe angefallen. Es handele sich um einen speziellen Fall, in dem sich der Festbetrag allein am Preis der auch in der Kombination in erster Linie therapierelevanten Eisenpräparate orientiert. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe, indem er den Festbetrag des Kombinationspräparates allein auf Basis des Hauptwirkstoffes festsetzt, verhindern wollen, dass durch die Beimengung therapeutisch unwesentlicher Zusätzen - hier: der Folsäure - ein Preisvorteil erzielt...