Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und zeitgleicher Bezug einer anderen Sozialleistung. nachträgliche Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger. Rückforderung der überzahlten teilweisen Erwerbsminderungsrente vom Versicherten. Überprüfungsverfahren. Wegfall des Zahlungsanspruchs. Erzielen von Einkommen. Ermessen. Atypischer Fall
Leitsatz (amtlich)
Die Frage, wie und in welchem Umfang gegenüber einem Leistungsbezieher einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung diese bei einer späteren, zeitraumgleichen Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung aufzuheben und zu erstatten ist, wenn der Rentenversicherungsträger aus dem Nachzahlungsbetrag der Rente wegen voller Erwerbsminderung vor Auskehrung an den Versicherten Erstattungsansprüche anderer Sozialleistungsträger (Arbeitslosengeld, Krankengeld) im Wege der Erstattung ausgleicht, ist anhand und auf der Grundlage des konkreten Einzelfalles zu bewerten.
Orientierungssatz
1. Zur Frage, in welchem Umfang ein Leistungsbezieher einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus einer späteren Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 10 "Einkommen erzielt", wenn der Rentenversicherungsträger aus dem Nachzahlungsbetrag der Rente wegen voller Erwerbsminderung vor Auskehrung an den Versicherten Erstattungsansprüche anderer Sozialleistungsträger ausgleicht.
2. Durfte eine zu Unrecht gewährte Sozialleistung aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht rückwirkend entzogen werden, so kann dies auch noch im Zugunstenverfahren auf Rücknahme des bestandskräftig gewordenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheides geltend gemacht werden (vgl BSG vom 28.5.1997 - 14/10 RKg 25/95 = SozR 3-1300 § 44 Nr 21).
Normenkette
SGB X § 44 Abs. 1 S. 1, § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 50 Abs. 1, §§ 103, 107 Abs. 1; SGB VI § 89 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nrn. 7, 11; SGG § 54 Abs. 2 S. 2
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten (im Verfahren L 5 R 286/15) gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 19. Februar 2015 (im Verfahren S 35 R 523/14) wird zurückgewiesen.
II. Auf die Berufung der Beklagten (im Verfahren L 5 R 309/17) wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 21. März 2017 (im Verfahren ) abgeändert: Die Beklagte wird, unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2015, verurteilt, den Bescheid vom 10. Juli 2013 zurückzunehmen, soweit sich aus diesem eine Aufhebung und Erstattung der gezahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 784,81 Euro ergibt.
III. Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten zu drei Vierteln zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten - teilweise im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens - über die rückwirkende vollständige Aufhebung der Bewilligung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Januar 2013 sowie über die Erstattung der (mit einer Rente wegen voller Erwerbsminderung verrechneten) Überzahlung im Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Juli 2013 in Höhe von 784,81 Euro.
Die Klägerin bezog aufgrund Rentenantrages vom 28. August 2006 mit Rentenbescheid vom 19. Oktober 2006 (unbefristet) Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. September 2006, die mit Rentenanpassungsbescheiden jährlich zum 1. Juli angepasst wurde. Der Rentenzahlbetrag betrug (zuletzt) ab 1. Januar 2013 monatlich 211,92 Euro sowie ab 1. Juli 2013 monatlich 218,90 Euro. In der Zeit ab September 2006 ging die Klägerin mit maximal fünf Stunden arbeitstäglich Teilzeittätigkeiten als technische Mitarbeiterin in einem Kosmetikstudio, als Mitarbeiterin in einem Büro und als Alltagsbegleiterin für Demenzkranke (bis einschließlich August 2012) nach. Im letzten Beschäftigungsverhältnis als Alltagsbegleiterin für Demenzkranke bestand Arbeitsunfähigkeit bereits ab 2. August 2011. Sie bezog Krankengeld von der Krankenkasse vom 13. September 2011 bis 28. Januar 2013 (in Höhe von 17,03 Euro kalendertäglich) und Arbeitslosengeld (I) von der Agentur für Arbeit vom 29. Januar 2013 bis 31. August 2013 (in Höhe von 10,94 Euro kalendertäglich).
Am 4. Januar 2013 (telefonisch) und am 4. Februar 2013 (Formularantrag) beantragte die Klägerin wegen ihrer seit 2. August 2011 andauernden Arbeitsunfähigkeit und Auflösung des letzten Teilzeitbeschäftigungsverhältnisses infolge der andauernden Arbeitsunfähigkeit im August 2012 durch den Arbeitgeber bei der Beklagten Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nach medizinischen Ermittlungen (Beiziehung des Rehabilitationsentlassungsberichts der M… Klinik Z.... vom 31. August 2012 und Einholung eines Gutachtens auf chirurgischem Fachgebiet von Dr. Y.... vom 18. Juni 2013) bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Rentenbescheid vom 10. Juli 2013 (auf den Antrag vom 4. Januar 2013) anstelle der bisherigen Rente (wegen teilweiser Erwerbsminderung) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (ausgehend von ein...