Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Überprüfungsverfahren. Anwendbarkeit. Rechtsschutzbedürfnis. Möglichkeit eines fristgemäßen Klageverfahrens bzw eines fristgemäßen Widerspruchsverfahrens. Arbeitslosengeldanspruch. Erfüllung der verkürzten Anwartschaftszeit bei kurzen befristeten Beschäftigungen. Anwendungsbereich der Sonderregelung. Rechtsauslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage, ob es für ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X an einem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt, solange gegen den zur Überprüfung gestellten Bescheid noch Widerspruch eingelegt oder Klage erhoben werden kann.
2. § 142 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB III ist nicht nur aufgrund seines klaren, eindeutigen Wortlautes sondern auch aufgrund der Entstehungsgeschichte und der Regelungsintention nicht dergestalt erweiternd auslegbar, dass alle Arbeitslosen, die die Voraussetzungen aus § 142 Abs 1 SGB III nicht erfüllen, unter den Anwendungsbereich der Sonderregelung in § 142 Abs 2 SGB III fallen können.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Gerichtsbescheid, mit dem seine auf die Gewährung von Arbeitslosengeld gerichtete Klage abgewiesen wurde.
Der 1969 geborene Kläger schloss mit der Y....-schule gGmbH in A.... am 26./27. März 2020 einen Arbeitsvertrag. Als Beginn des Arbeitsverhältnisses war der 1. April 2020 vereinbart (vgl. § 1 Abs. 1 des Vertrages). Das Arbeitsverhältnis war zum Zwecke der Erprobung "zunächst auf ein Jahr befristet" (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 des Vertrages). Die Fortführung als unbefristetes Arbeitsverhältnis war angestrebt (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Vertrages). Die (eigentliche) Probezeit betrug drei Monate (vgl. § 1 Abs. 3 des Vertrages). Als durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit waren 20 Zeitstunden "und damit 50 % der vollen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden" vereinbart (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 des Vertrages). Das monatliche Bruttogehalt betrug 2.211,20 EUR, das jährliche Bruttogehalt betrug "entsprechend 26.534,34€" (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 des Vertrages).
Der Kläger soll ausweislich zweier Schreiben der Beklagten an die Y....-schule gGmbH vom 10. und 17. Februar 2021 bis 9. Januar 2021 dort beschäftigt gewesen sein.
Der Kläger beantragte durch seinen Prozessbevollmächtigten mit zwei Schriftsätzen vom 11. Januar 2021 bei der Beklagten Arbeitslosengeld sowie Arbeitslosengeld II. In dem einen beantragte er ferner eine vorschussweise Bewilligung. Er teilte mit, dass er seit April 2020 über ein Bruttoeinkommen von monatlich 2.200,00 EUR und ein Nettoeinkommen von 1.736,59 EUR verfüge. Ebenfalls am 11. Januar 2021 meldete sich der Kläger online arbeitssuchend.
Mit Schreiben vom 10. Februar 2021 forderte die Beklagte bei der Y....-schule gGmbH eine Arbeitsbescheinigung für den Kläger mit Frist bis zum 3. März 2021 an. Diese reagierte hierauf nicht.
Der Klägerbevollmächtigte richtete mit Schriftsatz vom 23. Februar 2021 an die Beklagte eine "Zweite Erinnerung".
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Arbeitslosengeld mit Bescheid vom 23. Februar 2021 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil er in den letzten 30 Monaten vor dem 11. Januar 2021 weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei und die Anwartschaftszeit deshalb nicht erfüllt habe.
Der Kläger ließ mit Schriftsatz vom 26. Februar 2021 Widerspruch einlegen, der auch später nicht begründet wurde.
Mit Schreiben vom 1. März 2021 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass über den Arbeitslosengeldantrag erst entschieden werden könne, wenn alle zur Entscheidung erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen würden. Der Antrag sei unvollständig ausgefüllt und nicht unterschrieben. Außerdem würden die Arbeitsbescheinigung der Y....-schule gGmbH sowie Arbeitsbescheinigungen bis 31. März 2020 fehlen. In einer E-Mail vom selben Tag wurde der Klägerbevollmächtigte darüber informiert, dass der Kläger Arbeitslosengeld II beim Jobcenter A.... beantragen müsse, und dass er seinen Antrag zurückerhalte, weil dieser unvollständig ausgefüllt sei.
In der am 5. März 2021 übersandten Arbeitsbescheinigung vom 1. März 2021 gab die Y....-schule gGmbH unter anderem an, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 30. März 2021 befristet gewesen sei. Der Kläger sei bei ihr vom 1. April 2020 bis zum 24. Dezember 2020 beschäftigt gewesen. Das Arbeitsverhältnis sei am 21. Dezember 2020 nach einer Abmahnung am 7. Dezember 2020 zum 24. Dezember 2020 arbeitgeberseitig gekündigt worden. Die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit habe zunächst 21,6 Stunden betragen, sei ab 1. Juli 2020 auf 30 Stunden angehoben und ab 1. August 2020 auf 25 Stunden herabgesetzt worden.
Der Kläger gab am 23. März 2021 in der "Erklärung als vorläufigen Ersatz einer Arbeitsbescheinigung" unter anderem an,...