Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Zwangsmitgliedschaft. deutscher Unternehmer. kein Anspruch auf Entlassung. keine tatsachgerichtliche Entscheidungskompetenz: politische Streitfrage. Strukturentscheidung des Gesetzgebers. möglicher Rechtfertigungsgrund: zwingende Gründe des Allgemeinwohls
Leitsatz (amtlich)
Die Frage, ob "zwingende Gründe des Allgemeinwohls" eine Strukturentscheidung des Gesetzgebers rechtfertigen, die möglicherweise mit höherrangigem Recht nicht im Einklang steht, ist letztlich politisch zu beantworten und kann aus diesem Grunde nicht durch die Tatsachengerichte aufgrund eigener Ermittlungen entschieden werden.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.11.2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Entlassung aus der Mitgliedschaft bei der Beklagten. Bei der Klägerin handelt es sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Alleingesellschafterin ist Frau H… R… mit einer Stammeinlage in Höhe von 25.000 €. Geschäftsführer ist Herr F… K…, der als Metallbauer und Feinmechaniker in die Handwerksrolle eingetragen ist.
Das Unternehmen wurde am 13.11.2003 gegründet, der Betrieb wurde zum 01.01.2004 aufgenommen und firmiert unter der Bezeichnung K… Stahlbau GmbH, Stahl-, Treppen- und Balkonbau.
Mit Bescheid vom 27.01.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft der für das Unternehmen zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sei. Das Unternehmen sei daher gemäß § 136 Siebentes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) unter der Mitgliedsnummer ... aufgenommen worden; Metallbauer, Klempner und Schmiede seien zu der Gefahrenklasse 8,8 (Gefahrtarifstelle 2323) zu veranlagen; kaufmännische und verwandte Berufe nach der Gefahrklasse 0,6 (Gefahrtarifstelle 2929).
Mit Bescheid vom 28.12.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass weder Frau H… R… noch Herr F… K… pflichtversichert seien. Für beide gelte, dass sie eine beherrschende Stellung im Unternehmen haben. Es bestehe aber die Möglichkeit, sich freiwillig zu versichern.
Bereits mit Schreiben vom 01.11.2004 hatte die Klägerin die Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten zum Jahresende 2004 gekündigt. Es sei beabsichtigt, sich statt dessen privat gegen die bestehenden Risiken abzusichern.
Mit Bescheid vom 15.11.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass nach den Bestimmungen des SGB VII sie der für das Unternehmen zuständige gesetzliche Unfallversicherungsträger sei. Ein Austritt aus der Versicherung bzw. eine Kündigung einer gesetzlichen Pflichtversicherung sei rechtlich nicht möglich. Eine Entlassung aus der Mitgliedschaft werde daher abgelehnt. Dieser Bescheid wurde mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20.04.2005 und mit Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.11.2005 bestätigt.
Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, dass ihre Zwangsmitgliedschaft bei der Beklagten gegen Gemeinschaftsrecht verstoße, sie sei in ihrer passiven Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigt. Sie legt ein Angebot der A… I… A-S A… 12 g, Deka 1256, K…, D…, des Inhalts vor, dass zu den jeweils gültigen Bedingungen der Beklagten die Klägerin auch bei dieser Gesellschaft nach deutschem Unfallversicherungsrecht gegen das Risiko von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und Wegeunfällen versichert werde. Auch die Leistungen sollen sich streng nach dem Leistungskatalog der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung richten.
Die Ausschließlichkeitsstellung der Beklagten verstoße gegen Art. 82, 86 EG, die Wettbewerbsbeschränkung sei nicht zu rechtfertigen. Entsprechendes gelte für die hieraus folgende Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 49 ff. EG. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses, die eine Monopolstellung der Deutschen Unfallversicherungsträger in ihrem jeweiligen Bereich rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.
Mit Beschluss vom 24.07.2007 wurde der Rechtsstreit ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- Handelt es sich bei der beklagten Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft um ein Unternehmen im Sinne der Art. 81 und 82 EG?
- Verstößt die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten gegen gemeinschaftsrechtliche Vorschriften?
Auf Initiative der Klägerin wurden folgende Aufsätze zum Gegenstand des Parteivortrages gemacht:
Giesen, Das BSG, der EG-Vertrag und das deutsche Unfallversicherungsmonopol, ZESAR 4/2004, S. 151 ff.
Penner, Vereinbarkeit des Unfallversicherungsmonopols mit den Art. 81 ff. EG-Vertrag, NZS 2007, S. 521.
Die Beklagte hat eine schriftliche Stellungnahme von Prof. P… und ein Rechtsgutachten von Universitätsprofessor Dr. M… F… eingereicht. Außerdem haben die Bun...