Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Gewährung von Sozialhilfe. einzusetzendes Vermögen. Übernahme der Heimkosten. Antrag nach § 123 VwGO
Leitsatz (amtlich)
Eine Erbschaft steht nicht als einzusetzendes Vermögen im Sinne des § 88 Abs. 1 BSHG zur Verfügung, wenn dem Erblasserwillen zu entnehmen ist, daß der Nachlaß nicht für die Bestreitung der allgemeinen Unterbringungskosten eines im Heim lebenden Behinderten verwendet werden soll (sog. Behindertentestament). Auch bei einem notariell errichteten Testament sind zur Ermittlung des wahren Willens des Erblassers die gesamten Umstände zu berücksichtigen, die bei der Abfassung der letztwilligen Verfügung von Bedeutung waren.
Normenkette
BSHG § 88 Abs. 1
Verfahrensgang
VG Leipzig (Beschluss vom 30.09.1996; Aktenzeichen 2 S 682/96) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 30. September 1996 – 2 K 1168/96 – geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten für die Heimunterbringung des Antragstellers ab 16. August 1996, soweit sie noch nicht von der Testamentsvollstreckerin beglichen worden sind, bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren darlehensweise zu übernehmen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt in beiden Instanzen der Antragsgegner.
Tatbestand
I.
Der am … geborene geistig und körperlich behinderte Antragsteller lebt seit dem 15.5.1995 im Sonderpflegeheim für geistig Behinderte der … e.V. (im folgenden: Sonderpflegeheim). Zuvor war er ab dem 13.6.1993 im Sächsischen Krankenhaus …, Krankenhaus für Psychatrie und Neurologie, in untergebracht. Seine Mutter, die den Antragsteller und seine ebenfalls behinderte Schwester bis zu diesem Zeitpunkt betreut hatte, hatte sich wegen einer schweren Erkrankung längerfristig in stationäre Behandlung begeben müssen.
Am 14.11.1993 verstarb die Mutter des Antragstellers. Sie hatte bereits am 17.3.1992 ein notarielles Testament errichtet, mit dem sie den Antragsteller und seine Schwester zu gleichen Teilen als befreite Vorerben einsetzte. Eine Erbauseinandersetzung sollte nicht stattfinden. Nacherbe nach dem letztversterbenden Vorerben sollte die „… e.V.” werden. Ferner wurde bis zum Tod des letztversterbenden Vorerben Dauertestamentsvollstreckung angeordnet. Hinsichtlich der Verwendung des Nachlasses bestimmte die Erblasserin, daß dieser dazu dienen soll, ihren Kindern „die bestmögliche Betreuung, Pflege und Unterbringung zu ermöglichen, ohne Rücksicht darauf, ob zur Finanzierung dieser Maßnahme der Nachlaß in seinen Bestand angegriffen wird oder nicht”. In dem Testament heißt es weiter: „Der Nachlaß soll verwendet werden besonders für:
- die Einrichtung des eigenen Zimmers nach persönlichen Geschmack meiner Kinder,
- persönliche Anschaffung, wie z.B. Musikgeräte, Videogerät, Fernseher, andere technische Geräte entsprechend der technischen Entwicklung und ihren Wünschen und Bedürfnissen,
- modische und zweckentsprechende Kleidung,
- ärztliche Behandlung, Therapien und Medikamente, die von der Krankenkasse nicht (vollständig) gezahlt werden, z.B. Brille, Zahnersatz usw.,
- Beitragszahlungen zur Todesfallversicherung des …, Versiche rungsschein-Nr. … für Versicherungsschein-Nr. … für (soweit der Vertrag noch nicht ausgelaufen ist).”
Nach dem am 03.02.1994 erstellten Nachlaßverzeichnis belief sich der Wert des Nachlasses auf rund 181.000,– DM.
Mit Schreiben vom 05.12.1994, das nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war und laut Absendevermerk am gleichen Tage an den damaligen Betreuer des Antragstellers abgesandt wurde, stellte der Antragsgegner die Gewährung der Sozialhilfe zum 01.12.1994 mit der Begründung ein, der Antragsteller verfüge über erhebliches Vermögen aus dem Nachlaß seiner Mutter. Auf die weiteren Anträge des Antragstellers auf Übernahme der Unterbringungskosten vom 22.12.1995 und 24.05.1996 verwies der Antragsgegner auf die Bestandskraft des Bescheides vom 05.12.1994.
Demgegenüber führte die Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom 05.08.1996 aus, daß kein bestandskräftiger Bescheid über die Einstellung der Sozialhilfe vorliege, weil das Schreiben vom 05.12.1994 weder dem damaligen Betreuer noch dem Antragsteller zugegangen sei. Der Antragsgegner habe die Kosten für die Heimunterbringung des Antragstellers zu tragen, weil der Antragsteller kein verfügbares Vermögen besitze.
Am 16.08.1996 erhob der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Leipzig einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, mit dem er die Übernahme der anfallenden Unterbringungskosten durch den Antragsgegner anstrebt. Dazu trägt er vor, er verfüge lediglich über ein Einkommen aus einer Invalidenrente von monatlich 674,– DM. Auf verwertbares Vermögen könne er nicht zugreifen. Über seinen Anteil am Nachlaß seiner Mutter könne er nicht verfügen, weil seine Mutter Testamentsvollstreckung angeordnet habe und die Testamentsvollstreckerin hinsichtlich der Verwendung des Nachlasses durch die Vorgaben seiner Mutter beschr...