Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachranggrundsatz bei Behindertentestament
Leitsatz (amtlich)
Ein Hilfesuchender, der Eingliederungshilfe in Form von Übernahme der Kosten seiner vollstationären Unterbringung begehrt, darf unter dem Gesichtspunkt des Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe nicht darauf verwiesen werden, einen ihm von seiner Großmutter vererbten Nachlass als Vermögen zu verwerten, wenn die Erblasserin wirksam Testamentsvollstreckung für die Dauer des Lebens des Erben angeordnet und eine „sozialhilfeunschädliche” Verwendung des Nachlasses zur Auflage gemacht hat, die eine Verwendung des Erbes zur Deckung der Heimkosten ausschließt.
Normenkette
BSHG § 39 Abs. 1, § 40 Abs. 1 Nr. 8; SGB IX § 55
Verfahrensgang
VG des Saarlandes (Urteil vom 21.01.2005; Aktenzeichen 4 K 156/03) |
Tenor
Die Berufung gegen das auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21. Januar 2005 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes – 4 K 156/03 – wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben; die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die 1984 geborene Klägerin leidet infolge einer globalen Entwicklungsstörung nach Frühgeburt an einer schweren, nicht nur vorübergehenden geistigen Behinderung. Seit 1987 erhält sie Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz. Ab Anfang 1996 war sie zunächst vollstationär im Pallotti-Haus in A-Stadt untergebracht. Vom 1.7.2003 an folgte ein vollstationärer Aufenthalt im Pflegeheim „Seid Getrost” in O.. Seit Januar 2005 befindet sie sich im Heim der „Lebenshilfe” in A-Stadt. Außerdem besucht sie bereits seit Juli 2002 die Tagesförderstätte der „Lebenshilfe” in Sp.-E., wofür ihr Eingliederungshilfe gewährt wird.
Durch Bescheid vom 13.6.2002 lehnte der Beklagte den Antrag auf Übernahme der Kosten für die weitere Betreuung der Klägerin im Pallotti-Haus nach Beendigung der Schulpflicht mit Wirkung vom 26.6.2002 ab und verwies sie auf den Einsatz ihres Vermögens, das sie von ihrem im Dezember 1998 verstorbenen Vater geerbt hatte. Vom 27.6.2002 an bestritt die Klägerin die Kosten ihres weiteren Aufenthaltes im Pallotti-Haus zunächst selbst.
Mit Schreiben vom 7.12.2002 beantragte die Klägerin, die – Stand 2004 – beamtenrechtliche Versorgungsbezüge in Höhe von monatlich 232,97 Euro, eine Rente der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Höhe von 107,67 Euro und ein Pflegegeld der BEK in Höhe von rund 1.200,– Euro monatlich erhält (siehe die Aufstellung vom 7.5.2004 in der „Notakte”), die Übernahme der Kosten ihrer Heimunterbringung ab dem Monat Februar 2003 und machte geltend, von diesem Zeitpunkt an sei sie nicht mehr in der Lage, diese Kosten selbst aufzubringen. Daraufhin angestellte Ermittlungen des Beklagten ergaben, dass die Klägerin testamentarische Alleinerbin ihrer am 22.3.2002 verstorbenen Großmutter geworden war. Der Nachlass umfasste – soweit hier wesentlich – ein Hausgrundstück, das mittlerweile mit einem Erlös von 125.000,– Euro veräußert werden konnte, sowie ein Barvermögen in Höhe von 20.965,09 Euro. In dem der Erbschaft zugrunde liegenden notariellen Testament vom 12.5.2000 ist die Klägerin zur alleinigen und unbeschränkten Erbin eingesetzt. Außerdem ist Testamentsvollstreckung – soweit hier wesentlich – „zur Verwaltung des gesamten Nachlasses bis zum Tode der Erbin” mit folgenden Vorgaben angeordnet:
„Der Testamentsvolltrecker hat das vererbte Vermögen der Erbin in Form folgender Leistungen zuzuwenden:
- Überlassung von Geldbeträgen in Höhe des jeweiligen Rahmens, der nach den jeweiligen einschlägigen Gesetzen einem Sozialhilfeempfänger maximal zur Verfügung stehen kann,
- Geschenke zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten und zum Geburtstag, wobei bei der Auswahl der Geschenke auf die Bedürfnisse und Wünsche der Erbin ausdrücklich einzugehen ist,
- Zuschüsse zur Finanzierung eines Urlaubs und zur Urlaubsgestaltung,
- Zuwendung zur Befriedigung geistiger und künstlerischer Bedürfnisse sowie zur Befriedigung der individuellen Bedürfnisse der Erbin in Bezug auf Freizeit, wozu insbesondere auch Hobbys und Liebhabereien zählen.
Für welche der genannten Leistungen der vererbte Vermögen verwendet werden soll, ob dieses also auf sämtliche Leistungen gleichmäßig oder nach einem bestimmten Schlüssel verteilt werden oder ob dieser nur für eine oder mehrere der genannten Leistungen verwendet wird, entscheidet der Testamentsvollstrecker nach billigem Ermessen, wobei er allerdings immer auf das Wohl der Erbin bedacht sein muss. Im Übrigen gelten für die Testamentsvollstreckung die gesetzlichen Bestimmungen.”
Mit Bescheid vom 27.6.2003 lehnte es der Beklagte ab, die Kosten der vollstationären Betreuung der Klägerin mit Wirkung vom 1.2.2003 im Rahmen der Eingliederungshilfe zu übernehmen. Zur Begründung verwies er auf die Nachrangigkeit der Sozialhilfe und führte aus, die Klägerin habe am 22.3.2002 außer einem Mehrfamilienhaus, für das ein Verkaufserlö...