Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzicht und Verwirkung eines Klagerechts. Abwägungsmangel. Trennungsgebot. ergänzendes Verfahren. Gültigkeit eines Bebauungsplans
Leitsatz (amtlich)
1. Der Verzicht auf ein Klagerecht kann regelmäßig erst dann erfolgen, wenn die Entscheidung, gegen die das Rechtsmittel gegeben wäre, ergangen ist. Ein solcher Verzicht muß außerdem angesichts seiner Tragweite eindeutig, unzweifelhaft und unmißverständlich zum Ausdruck kommen und kann nicht bedingt erfolgen (Fortführung von SächsOVG, NK-Urt. v. 8.12.1993, JbSächsOVG 1, 320 [326]).
2. Ein allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 4 BauNVO soll nach dem sogenannten Trennungsgebot (vgl. § 50 BImSchG) möglichst nicht unmittelbar neben einem Industriegebiet im Sinne von § 9 BauNVO festgesetzt werden.
3. Die nachträgliche fiktive Umrechnung eines sogenannten Zaunwertes in einen im Bebauungsplan nicht festgesetzten, flächenbezogenen Schalleistungspegel ist nicht zulässig.
4. Mängel der Abwägung führen zur Nichtigkeit und sind nicht durch ein ergänzendes Verfahren im Sinne von § 215 a BauBG behebbar, wenn sie das Grundgerüst der Abwägung betreffen und von solcher Art und Schwere sind, daß die Planung als Ganzes von vornherein in Frage steht. Eine Mangelbehebung im ergänzenden Verfahren kommt weiter dann nicht in Betracht, wenn letztlich alle zum Erlaß einer Satzung erforderlichen Verfahrensschritte in einer Weise durchgeführt werden müßten, wie dies beim erstmaligen Satzungsverfahren erforderlich wäre (wie OVG NW, NK-Urt. v. 22.6.1989, NWVBl. 1989, 476 [482]; VGH Bad.-Württ., NK-Urt. v. 7.1.1988, VGHBW Rechtsprechungsdienst 1989 Beilage 3 B 1–2).
Normenkette
VwGO § 47; BauGB § 1 Abs. 6, § 215a; BauNVO §§ 4, 9; BImSchG § 50
Tenor
Die Änderungen des Bebauungsplanes Nr. 2 der Antragsgegnerin vom 29.5.1996 und vom 30.10.1996 – jeweils in der Fassung der Änderung vom 25.6.1997 – werden für nichtig erklärt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Antragstellerin (… AG) ist durch Umwandlung der … GmbH entstanden. Sie ist Eigentümerin eines Grundstücks in … (Gemarkung … Flurstücke … und andere), für das der Bebauungsplan Nr. 2 „…” der Antragsgegnerin aus dem Jahre 1992 hinsichtlich des überwiegenden, nördlichen Grundstücksteils ein Industriegebiet (GI 2) sowie ein Gewerbegebiet (GE 5) festgesetzt hatte. Dazu hieß es in den textlichen Festsetzungen unter 11.4: „An dem in Teil A – Planzeichnung – festgesetzten Meßpunkt Nr. 1 dürfen die Lärmemissionen aus dem GE 1-Gebiet und dem GE 4-Gebiet einen Beurteilungspegel von 55 dB tagsüber (6.00 bis 22.00 Uhr) bzw. 40 dB nachts (22.00 bis 6.00 Uhr) nicht überschreiten.
Entsprechendes gilt für die Meßpunkte Nr. 2 bis 4 bezüglich der Lärmemissionen aus dem GI 2-Gebiet und dem GE 5-Gebiet”
Der Meßpunkt 2 befand sich westlich des Betriebsgeländes der Antragstellerin; die Meßpunkte 3 und 4 südlich (anschließend an das Gewerbegebiet) hiervon. Nördlich des Betriebsgeländes der Antragstellerin setzte der Bebauungsplan in seiner ursprünglichen Fassung teilweise Gewerbegebiete (am westlichen Rand des Plangebietes) sowie ein Industriegebiet fest. Ursprünglich war geplant, daß sich dort im wesentlichen die Firma … ansiedelt. Die Antragstellerin betreibt auf ihrem Grundstück eine Abfüllanlage, für die ihr vom ehemaligen Landratsamt Dresden unter dem 24.9.1992 eine Baugenehmigung erteilt worden ist. Diese Baugenehmigung war unter anderem mit folgender Auflage (Nr. 7) versehen: „Es ist durch entsprechende Maßnahmen zu gewährleisten, daß an den benachbarten Wohngebäuden die Immissionsrichtwerte für Lärm gemäß VDI-Richtlinie 2058 tagsüber und nachts eingehalten werden. Die Einhaltung der Immissionsrichtwerte ist innerhalb von drei Monaten nach Inbetriebnahme durch ein Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen nachzuweisen.”
Nachdem die Antragsgegnerin, der das gesamte Plangebiet ursprünglich gehört hatte, auch für den nördlichen Teil die Erschließungsanlagen im wesentlichen fertiggestellt hatte, stellte sich heraus, daß eine Ansiedlung der Firma … nicht erfolgen würde. Auch ein anderer gewerblicher Investor fand sich nicht. Daraufhin wurde bei der Antragsgegnerin erwogen, die Flächen zu Wohnbauflächen umzuwidmen. Dazu findet sich bereits in einem Gesprächsprotokoll vom 2.11.1995 zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin folgendes: „Nachdem alle Beteiligten diesen Vorschlag für gangbar hielten, erklärte der Bürgermeister, daß er lediglich noch die Bitte habe, daß die … einer Umwidmung des Industriegebiets in ein Wohnmischgebiet zustimme. Der Unterzeichner erklärte darauf hin, daß die … diese Zustimmung weder rechtlich schulde … noch aus praktischen Erwägungen jemals abgeben werde, da wegen der hohen Lärmbelästigung durch an- und abfahrende Lkw und durch den Betrieb der Fabrik Ärger mit den in der unmittelbaren Nachbarschaft Wohnenden vorprogrammiert sei. Auch die Vertreter der … widersprachen dem Ansinnen des Bürgermeisters heftig. Der Bürgermeister erklärte d...