Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. keine Versorgung mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol bei Lymphödem. keine verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Anspruch auf Versorgung mit dem auf Cannabisbasis wirkenden Rezepturarzneimittel Dronabinol bei chronischen Schmerzzuständen ua wegen Lymphödem.

 

Orientierungssatz

Zu Leitsatz vgl BSG vom 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 30 und BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 1. April 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung mit dem Arzneimittel Dronabinol. Die 1951 geborene Antragstellerin ist Mitglied der Antragsgegnerin. Sie bezieht eine Erwerbsminderungsrente auf Dauer, die Pflegestufe 2 nach dem SGB XI ist bei ihr anerkannt.

Am 26. Mai 2015 beantragte sie bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme der Versorgung mit Dronabinol, einem Arzneimittel auf Cannabis-Grundlage, wegen des bei ihr bestehenden Lymph- und Lipödems, Arthrose, Arthritis und Weichteilrheuma. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 29. Mai 2015 mit der Begründung ab, dass keine positive Beurteilung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss vorliege. Außerdem bestehe ein Verordnungsausschluss nach § 31 Abs. 1 SGB V. Auf den Widerspruch der Antragstellerin hin, die Versorgung mit Dronabinol sei bei ihr eine alternativlose Behandlung, die wegen ihrer chronischen Schmerzzustände auch notwendig sei, holte die Antragsgegnerin vom MDK ein Gutachten ein. Darin kam Dr. Z... unter dem 13. November 2015 auch unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu der Einschätzung, dass es an der für die neue Arzneitherapie notwendigen anerkennenden Richtlinie durch den Bundesausschuss nach § 135 Abs. 1 SGB V fehle. Es liege auch kein Ausnahmetatbestand vor, aufgrund dessen ohne eine solche anerkennende Richtlinie ein Versorgungsanspruch bestehe, da es sich bei dem chronischen Schmerzsyndrom nicht um eine notstandsähnliche Situation handele, wie sie sonst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BSG für eine Ausnahmeindikation erforderlich sei. Kontrollierte Studien über die Wirksamkeit der Arznei lägen ebenfalls nicht vor. Es sei keine weder nationale noch internationale Leitlinie bekannt, in der Cannabis als medikamentöser Therapiestandard erwähnt werde. Die Behandlung mit Cannaboiden werde zwar aktuell diskutiert, aber als Suchtmittel problematisch angesehen. Auch läge keine ausreichende Studienlage hinsichtlich des Nutzens und insbesondere der Langzeitrisiken vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2016 wies die Antragsgegnerin daraufhin den Widerspruch der Antragstellerin zurück.

Die Antragstellerin hat am 15. März 2016 beim Sozialgericht Lübeck die Versorgung mit dem Arzneimittel Dronabinol beantragt und zur Begründung ausgeführt: Mit gleichem Datum habe sie fristwahrend Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben. Im Hinblick auf das voraussichtlich längere Klageverfahren sei es ihr nicht zuzumuten, diese Entscheidung abzuwarten. Das Krankenhaus Reinbek, wo sie sich zur Schmerztherapie befunden habe, habe sie als austherapiert entlassen. Daraufhin habe ihr der Hausarzt Dronabinol verordnet, was zu einer Schmerzlinderung geführt habe. Zunächst habe die Antragsgegnerin auch die Kosten übernommen, lehne dies jetzt aber ab. Ihr Anspruch sei aus der Rechtsprechung des BVerfG herzuleiten, wonach auch bei fehlender Richtlinie des Bundesausschusses ein Anspruch auf eine Behandlung bestehe. In einem ähnlich gelagerten Fall habe das Landessozialgericht Niedersachsen in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren einen Anspruch bejaht. Derzeit nehme sie Diclofenac, leide aber infolgedessen unter schweren Nebenwirkungen. Die Antragsgegnerin sieht weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund als gegeben an und verweist insoweit auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 1. April 2016 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:

“Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ergibt sich kein Anspruch auf Gewährung der beantragten Dronabinolbehandlung. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetz-buch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten und Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst auch die ärztliche Behandlung, wobei unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes des § 12 Abs. 1 SGB V grundsätzlich nur solche Behandlungsmethoden angewendet werden dürfen, die anerkannt sind. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben gemäß § 2 A...

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