Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit der Beschwerde. einstweiliger Rechtsschutz. Zulassungsbedürftigkeit der Berufung in der Hauptsache. Berechnung des Beschwerdewerts. Begrenzung des maßgeblichen Zeitraums auf 6 Monate. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Anordnungsgrund bei nicht ohne Weiteres realisierbarer vorrangiger Leistung. keine Berücksichtigung fiktiver Einkommen. Unterhaltsvorschuss. Mitwirkungspflicht. Vorwegnahme der Hauptsache

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist der vom Sozialgericht abgelehnte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lediglich unbestimmt auf höhere Leistungen gerichtet, ist der für die Berechnung des Werts des Beschwerdegegenstands maßgebliche Zeitraum grundsätzlich auf sechs Monate zu begrenzen.

2. An dieser Rechtsprechung hält der Senat trotz Verlängerung des Regelbewilligungszeitraums auf ein Jahr (§ 41 Abs 3 S 1 SGB II) fest.

3. Ein Anordnungsgrund kann in der Regel nicht mit Hinweis auf die mögliche Inanspruchnahme einer vorrangigen Leistung verneint werden, wenn die vorrangige Leistung nicht ohne Weiteres realisiert werden kann oder die Verpflichtung zu ihrer Inanspruchnahme streitig ist.

4. Zur fehlenden Berücksichtigungsfähigkeit fiktiven Einkommens.

 

Normenkette

SGG § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 172 Abs. 3 Nr. 1; SGB II § 5 Abs. 3, § 11 Abs. 1 S. 1, § 41 Abs. 3

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 8. Mai 2017 aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig dazu verpflichtet, den Antragstellern seit 16. Mai 2017 vorläufig bis zum 30. November 2017, längstens jedoch bis zur Bestandskraft des Bewilligungsbescheids des Antragsgegners vom 23. März 2017 höhere Leistungen ohne Anrechnung von Unterhaltsvorschuss zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Hälfte seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt und Rechtsanwalt … als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutz über die Gewährung höherer Leistungen im Zusammenhang mit der fiktiven Anrechnung von Unterhaltsvorschuss.

Die am … 1986 geborene Antragstellerin zu 1. ist seit 8. Mai 2014 geschieden. Sie lebt zusammen mit ihrem am … 2014 geborenen Sohn, dem Antragsteller zu 2., in einer Bedarfsgemeinschaft. Die Antragstellerin zu 1. war bereits in der Vergangenheit aufgefordert worden, Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für ihren Sohn zu beantragen. Damals hatte der Kreis ... als Unterhaltsvorschusskasse einen entsprechenden Antrag abgelehnt, weil die Antragstellerin zu 1. mitgeteilt habe, aus privaten Gründen die Vaterschaft zurzeit nicht feststellen lassen zu können (Bescheid vom 18. August 2014).

Einen erneuten Antrag auf Unterhaltsvorschuss lehnte der Kreis ... mit Bescheid vom 9. März 2017 ab. Er führte zur Begründung aus, dass die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nicht gegeben seien, weil die Antragstellerin zu 1. keine Bemühungen habe nachweisen können, spätestens nach Bekanntwerden der Schwangerschaft die Person des Vaters ausfindig zu machen.

Mit Bescheid vom 23. März 2017 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum Mai 2017 bis April 2018 in Höhe von monatlich 481,24 EUR (Zeitraum Mai 2017 bis Dezember 2017) bzw. in Höhe von 479,24 EUR (Zeitraum Januar 2018 bis April 2018). Dabei berücksichtigte er sonstiges Einkommen in Höhe von 150 EUR beim Antragsteller zu 2. In der Begründung seines Bescheids führte der Antragsgegner aus, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 12a Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Verbindung mit § 9 Abs. 1 SGB II teilweise in Höhe von 150 EUR abgelehnt würden, da die vorrangige Leistung Unterhaltsvorschuss für den Antragsteller zu 2. nicht in Anspruch genommen würde.

Gegen diesen Bescheid legten die Antragsteller am 5. April 2017 Widerspruch ein.

Am 19. April 2017 haben sie beim Sozialgericht Itzehoe um einstweiligen Rechtsschutz ersucht und beantragt,

den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen weitere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Sie haben zur Begründung geltend gemacht, dass die fiktive Berücksichtigung tatsächlich nicht vorhandenen Einkommens rechtswidrig sei. Es sei um kurzfristige Korrektur der Bewilligungsentscheidung gebeten worden, darauf habe der Antragsgegner nicht reagiert, so dass eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich sei.

Mit Beschluss vom 8. Mai 2017 hat das Sozialgericht Itzehoe den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es hat den Antrag der Antragsteller sinngemäß dahingehend ausgelegt, dass die Verpflichtung des Antragsgegners begehrt werde, dem Antragsteller zu 2. weitere Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 15...

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