Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenübernahme einer stationären palliativen Krebstherapie (Stopflow-Chemotherapie. Anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse. Magenkarzinom im fortgeschrittenen Stadium. Zugelassene Behandlungsalternative. Spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Wirksamkeitsnachweis. Sachverhaltsaufklärung. Einstweilige Anordnung. Folgenabwägung
Leitsatz (amtlich)
Zur Kostenübernahme einer palliativen Krebstherapie (Stopflow-Chemotherapie) in einem Vertragskrankenhaus.
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 1a, § 39 Abs. 1 S. 2, § 2 Abs. 1 S. 3, § 137c; SGG § 86b Abs. 2; GG Art. 19 Abs. 4
Tenor
Der Antrag der Antragsgegnerin auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 17. Mai 2016 wird abgelehnt (Entscheidung des Vorsitzenden - Vorsitzender Richter am Landessozialgericht …).
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 17. Mai 2016 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten auch im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung die Durchführung einer Krebstherapie.
Der 1944 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Im Januar 2016 wurde bei ihm ein inoperables fortgeschrittenes Magenkarzinom mit Metastasen in Leber und Peritoneum sowie intraabdominalen Lymphknoten diagnostiziert (Stadium IV). Die Chemotherapie FOLFOX führte zu neurotoxischen Symptomen, die geänderte Chemotherapie auf FOLFIRI wurde nach Unverträglichkeit abgebrochen.
Anfang März 2016 beantragte der Antragsteller gemeinsam mit dem ihn behandelnden Onkologen Dr. B... bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme für eine mehrstufige kombinierte Behandlung der Leber mit Chemotherapie unter Hyperthermie und Bestrahlung der Leber unter Verwendung einer für diesen Zweck weiterentwickelten Herz-/Lungenmaschine (Stopflow-Chemotherapie) stationär im H...klinikum S... Außerdem seien jeweils zwei Elektrohyperthermien vor und nach jeder Chemoperfusion geplant. Es seien vier normalerweise jeweils 5 Tage dauernde Behandlungen erforderlich mit Gesamtkosten von ca. 21.000,00 bis 28.000,00 EUR. Die 12 bis 16 Elektrohyperthermie-Anwendungen würden Kosten von 1.800,00 bis 2.700,00 EUR verursachen. In dem Antrag wies Dr. B... darauf hin, dass die Chemotherapie vom Antragsteller schlecht vertragen worden sei. Die Antragsgegnerin holte eine Stellungnahme des MDK ein. Darin kam Dr. Z... am 5. April 2016 zu der Einschätzung, dass die Durchführung der intraarteriellen Chemoperfusion eine intensivmedizinische Überwachung erfordere, so dass die Behandlung nur in einem Krankenhaus erfolgen könne. Die beantragte Therapie entspreche allerdings nicht den allgemein anerkannten Behandlungsoptionen. Als schulmedizinische Option komme die Behandlung mit Ramucirumab mono in frage. Ob diese Behandlung durchgeführt werden könne, sei allerdings offen. Dies sei von der aktuellen Lebersyntheseleistung abhängig, zu der keine aktuellen Daten vorlägen. Ohne Therapie sei bei den Lebermetastasen eine Prognose von sechs bis 12 Monaten anzunehmen. Die Studienlage hinsichtlich der beantragten Behandlung sei eher gering. Studien seien durch Prof. A... vom M...-Klinikum Ba... seit 20 Jahren durchgeführt worden. Denkbar sei eine positive Einwirkung auf die Lebermetastasen (Leberperfusions-Chemotherapie). Bei noch vorhandenem Primärtumor (Magen) und bereits erfolgter Peritonealmetastasierung (Aszitesbildung) sei eine regionale Chemotherapie der Leber und des Magens wenig aussichtsreich auf eine relevante spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Andere Leistungsanbieter neben dem H...-Klinikum S... und dem M...-Klinikum Ba... seien nicht bekannt. Daraufhin lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 6. April 2016 eine Kostenübernahme ab. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch. Mit Hilfe eines Darlehens seiner Schwester begann er die erste von vier Therapie-Einheiten im H...klinikum S... am 20. April 2016.
Am 2. Mai 2016 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Itzehoe die Verpflichtung der Antragsgegnerin beantragt, ihm drei Stopflow-Chemotherapien unter gleichzeitiger Hyperthermie des Thorax und Hyperoxygenierung des Abdominalraums mit anschließender Refiltration der eingesetzten Medikamente per Herz-Lungen-Automat als Sachleistung im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung im H...klinikum S... zu gewähren. Zur Begründung hat er ausgeführt, Ziel der Therapie könne nur sein, die begrenzte Lebenszeit bei möglichst guter Lebensqualität zu verlängern. Dabei müsse ihm zugestanden werden, von belastenden Therapien Abstand zu nehmen und Behandlungsmöglichkeiten zu nutzen, die jedenfalls nicht schaden und mit gewisser Wahrscheinlichkeit nützten. Schulmedizinische Optionen einer Behandlung bestünden nicht mehr. Die vom MDK angesprochene Therapie mit Ramucirumab ...