Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Mitteilung über aktuelle Ausprägung und Schweregrad einer Erkrankung (hier Krebserkrankung) im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes. Neue Behandlungsmethode. Hyperthermie. Behandlung mit dendritischen Zellen. Aussicht auf Heilung. Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
Zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs auf eine Leistung nach § 2 Abs 1a SGB 5 im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gehört auch die Mitteilung über die aktuelle Ausprägung und den Schweregrad der Erkrankung.
Orientierungssatz
Zu Leitsatz vgl BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12.
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 1, 1a, § 12 Abs. 1, § 28 Abs. 1, §§ 135, 137c; SGG § 86b Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 9. Oktober 2015 aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für beide Instanzen nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung die Übernahme der Kosten für eine Krebstherapie.
Die 1959 geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Im September 2014 wurde bei ihr ein Mammakarzinom diagnostiziert, nach der Bescheinigung des Radiologen Dr. B. vom 24. Februar 2015 ein 2,5 cm messendes, triple neg. G3-Karzinom. Im gleichen Monat erfolgte eine Primäroperation mit Nachresektion. Eine postoperative Chemo- und Radiotherapie lehnte die Antragstellerin ab. In der Folgezeit kam es zu einer lymphogenen makroskopischen Metastasierung in die rechte Zervikalregion, übergehend in clavikuläre und axilliäre Metastasen.
Am 27. Februar 2015 beantragte Dr. B. für die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Übernahme der Kosten einer mehrstufigen Therapie. Dazu heißt es in dem Antrag: “Im Schritt I mit simultanen Elektrohyperthermieanwendungen, einer hyperfraktioniert akzelerierten Radiotherapie und einer Lowdose-Chemotherapie, die sich auf alle aktuell erkennbaren makroskopischen Tumorlokalisationen erstrecken werden.„ Hierfür gab Dr. B. Kosten in Höhe von ca. 3.875,00 EUR an sowie für die anschließende Detektion von Tumorzellen Kosten von 3.100,00 EUR. Weiter heißt es: “Im Falle eines Therapieerfolgs, zügig abzulesen am Absinken des zurzeit erhöhten Tumormarkers Ca 15-3, würde anschließend im Schritt II eine jedes Mal nach Vorauswahl ubiquitär oberhalb oder unterhalb des Zwerchfells wirkende intraoperative intraarterielle Stopflow-Chemotherapie durchgeführt werden, unter Hyperthermie und Hyperoxygenierung sowie Chemorefiltration dank einer in der OP samt Kardiotechniker eingesetzten Herz-Lungen-Maschine.„ Für die auswärtigen intraoperativen drei bis vier Chemoperfusionen gab Dr. B. Kosten von ca. 12.200,00 EUR für jeden der ca. viertägigen Klinikaufenthalte im HELIOS Hanseklinikum S. an.
Mit Bescheid vom 2. März 2015 lehnte die Antragsgegnerin die Übernahme der Kosten für die beantragte “Hyperthermiebehandlung und Maintrac„ aufgrund der Ablehnung dieser Therapie durch den Bundesausschuss ab. Außerdem wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass Dr. B. nicht über eine Kassenzulassung verfüge und gesetzliche Krankenkassen keine Leistungen von Nichtvertragsbehandlern übernehmen dürften. Für die Antragstellerin legte Dr. B. Widerspruch ein und wies u. a. darauf hin, dass die Standardmedizin nur palliativ behandeln würde, mit der von ihm beschriebenen Mehrschritttherapie jedoch eine Aussicht auf eine Langzeitremission oder gar Heilung nicht verbaut werde. Die Antragsgegnerin holte daraufhin ein Gutachten des MDK Nord ein. Darin kam der Gutachter G. zu der Einschätzung, dass es sich bei der beantragten Therapie um kein etabliertes Therapieverfahren mit guter Evidenz handele. Seitens des Behandlers sei kein Tumorstadium mitgeteilt worden. Auch lägen die Befunde von aktuellen Staging-Untersuchungen nicht vor. Bekannt sei, dass gerade die Triple-negativen Mammakarzinome ein hohes Rezidivrisiko hätten. Insofern sei nicht nachvollziehbar, warum bei der Antragstellerin nach fachgerechter Aufklärung keine leitliniengerechte systemische Therapie erfolgt sei. Auch sei nicht nachvollziehbar, warum bei brusterhaltender Therapie keine Radiatio angeschlossen worden sei. Bei den geplanten Therapieschritten handele es sich um sog. NUB-Verfahren. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundessozialgerichts (BSG) sei ein Anspruch auf Übernahme der Kosten nicht gegeben. Zwar bestehe bei der Antragstellerin unbehandelt eine schwerwiegende, regelmäßig zum Tod führende Erkrankung. Es sei aber keinesfalls von einer Alternativlosigkeit der Therapie auszugehen. Etablierte, zugelassene Therapieoptionen seien z. B. Radio- und Chemotherapie entsprechend der aktuellen Leitlinie S3. Bei der Hyperthermie handele es sich grundsätzlich um experimentelle Verfahren und Gegenstand wissensch...