Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Rückausnahme bei fünfjährigem Aufenthalt im Inland
Leitsatz (amtlich)
Glaubhaftmachung bzw zum Nachweis des Vorliegens der Rückausnahme nach § 7 Abs 1 S 4 und 5 SGB II ist nicht zwingend eine fortwährende und überdies melderechtskonforme Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde während der gesamten Dauer der Fünfjahresfrist erforderlich.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 9. September 2019 abgeändert und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 7. Oktober 2019 bis zum 29. Februar 2020 – längstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens – vorläufig und unter Vorbehalt der Rückforderungen Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 424,00 EUR bzw. ab dem 1. Januar 2020 in Höhe von 432,00 EUR zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Instanzen.
Die Beschwerde des Antragtellers gegen den Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 9. September 2019 wird zurückgewiesen. Der Prozesskostenhilfeantrag für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
Gegenstand der am 7. Oktober 2019 erhobenen und am 29. Oktober 2019 begründeten Beschwerde ist die vom Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung begehrte vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), die das Sozialgericht Kiel mit Beschluss vom 9. September 2019 abgelehnt hat. Streitig ist, ob der Antragsteller als bulgarischer Staatsangehöriger von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Zudem wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren (Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 9. September 2019).
Die zulässige Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutz hat Erfolg.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht entschieden, dass der Antragsteller von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist und daher eine vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistungsgewährung nicht in Betracht kommt. Der Senat hält es für überwiegend wahrscheinlich, dass dem 1973 geborenen, erwerbsfähigen und hilfebedürftigen Antragsteller – selbst wenn er gegenwärtig allenfalls allein ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitsuche besitzt und damit an sich nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 b) SGB II von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen ist – ein Leistungsanspruch nach § 7 Abs. Satz 4 SGB II zusteht.
Der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b) SGB II und ist daher grundsätzlich von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit oder der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses hegt der Senat weiterhin nicht (vgl. Beschluss des Senats vom 4. Mai 2018 – L 6 AS 59/18 B ER – juris Rn. 26 m.w.N.).
Wie das Sozialgericht bereits überzeugend ausgeführt hat, liegen die Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts durch eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU – FreizügG/EU oder des § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU nicht vor. Der Antragsteller hat bereits nicht glaubhaft gemacht, dass er durch das vom 28. Mai 2019 bis 30. Juni 2019 bestehende Arbeitsverhältnis, in dessen Rahmen er insgesamt lediglich 10,75 Stunden (Lohnabrechnung vom 11. Juli 2019) tätig war, Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 FreizügG/EU gewesen ist. Vielmehr handelt es sich auch nach Auffassung des Senats im Rahmen einer summarischen Prüfung angesichts der geringen Gesamtstundenzahl und der kurzen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses von lediglich einem Monat um eine, die Arbeitnehmereigenschaft nicht begründende völlig untergeordnete Tätigkeit (siehe zum Arbeitnehmerbegriff im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU Beschluss des Senats vom 11. November 2015 – L 6 AS 197/15 B ER – juris). Mithin kommt eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU bereits mangels relevanter Beschäftigung nicht in Betracht.
Ob die zeitlich davor liegenden Tätigkeiten des Antragstellers seit März 2014, die nie länger als einen halben Monat, maximal vier Monaten und insgesamt nicht mehr als 14 Monate angedauert haben, jeweils für sich eine Arbeitnehmereigenschaft begründeten, kann letztlich dahinstehen. Zwar setzt § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU keine ununterbrochene Tätigkeit von mehr als einem Jahr voraus. Kurzfristige Unterbrechungen sind insoweit unschädlich (BSG, Urteil vom 13. Juli 2017 – B 4 AS 17/16 R – juris). Die Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft gilt jedoch nicht unbeschränkt in dem Sinne, dass sämtliche Tätigkeiten ...