Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. keine Verpflichtung des Grundsicherungsträgers zur Erteilung einer Zusicherung für die neue Unterkunft im Eilrechtsschutz. kein Übernahme unangemessener Kosten der Unterkunft nach der Übergangsvorschrift des § 67 SGB 2 während der COVID-19-Pandemie

 

Orientierungssatz

1. Der Grundsicherungsträger kann im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes zur Erteilung einer Zusicherung iS des § 22 Abs 4 SGB 2 grundsätzlich nicht verpflichtet werden; allenfalls zur vorläufigen Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft.

2. Die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft nach § 22 Abs 1 SGB 2 kann nicht mit dem für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen Vollbeweis festgestellt werden.

3. Ein Anspruch auf Übernahme unangemessener Unterkunftskosten kann aus dem im Zuge der Corona-Pandemie in Kraft getretenen § 67 SGB 2 nicht hergeleitet werden. § 67 SGB 2 schafft ein vorübergehendes Sonderrecht, dient aber nicht dazu, die allgemeinen Grundsätze des Grundsicherungsrechts krisenbedingt außer Kraft zu setzen.

 

Tenor

Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 10. Oktober 2020 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

Die am 26. Oktober 2020 nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 10. Oktober 2020 mit dem sinngemäßen Antrag,

den Beschluss vom 10. Oktober 2020 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, die Zusicherung zu den Aufwendungen für die Unterkunft R...straße in ... K..., Erdgeschoss, zu erteilen sowie die Mietkaution zu übernehmen,

ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das von Antragstellerseite geltend gemachte Recht (sog. Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit, d.h. die Dringlichkeit, die Angelegenheit sofort vor einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zu regeln (sog. Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, Breith 2005, 803). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss eine umfassende Folgenabwägung, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einstellt, erfolgen (BVerfG, a.a.O.; vgl. auch Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 29, 29a). Die besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist zu bejahen, wenn dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91-, juris).

Hiervon ausgehend sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen

Anordnung nicht erfüllt. Die Erteilung der begehrten Zusicherung im Wege einer einstweiligen Anordnung kommt vorliegend schon deshalb nicht in Betracht, weil im einstweiligen Rechtsschutzverfahren der SGB II-Leistungsträger zur Erteilung einer Zusicherung im Sinne des § 22 Abs. 4 SGB II in aller Regel nicht verpflichtet werden kann, sondern allenfalls zur vorläufigen Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Juni 2019 - L 1 AS 1858/19 ER-B - juris Rn. 13; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. April 2019 - L 11 AS 72/19 B ER - juris Rn. 44; LSG Schleswig - Holst...

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