Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Verfahrensförderung bei Existenz sichernden Leistungen. unangemessene Dauer. Bedeutungsgehalt eines Streits um höhere Grundsicherungsleistungen. Abwarten der Klagebegründung. Zuständigkeitswechsel des Gerichts. sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Hinreichende Aussicht auf Erfolg. Schwierigkeit des Verfahrens
Orientierungssatz
1. Verfahren, welche die Existenz sichernden Leistungen - wie Leistungen der Grundsicherung - zum Gegenstand haben, sind im Hinblick auf die Verfahrensdauer grundsätzlich vom Gericht besonders zu fördern (vgl BVerfG vom 27.9.2011 - 1 BvR 232/11 = info also 2012, 28).
2. Dieser Grundsatz führt aber nicht dazu, dass ausnahmslos Grundsicherungsleistungen oder Leistungen der Sozialhilfe einen besonders hohen Bedeutungsgehalt für die Kläger haben, mit der Folge, dass sie gegenüber anderen Verfahren vorzugswürdig wären (hier: Streit um Leistungshöhe bei Verbleiben einer finanziellen Lebensgrundlage oberhalb der Leistungssätze des SGB 2).
3. Es widerspricht nicht den Grundsätzen einer sorgfältigen Verfahrensführung, wenn das Gericht zunächst die Begründung einer Klage oder eines Rechtsmittels abwartet (hier über acht Monate nach Klageerhebung), sofern nicht solche Gerichtshandlungen vorzunehmen sind, die aus prozessualen Gründen keinerlei Aufschub dulden.
4. Ein Zuständigkeitswechsel zwischen verschiedenen Gerichten (hier aufgrund einer Neuordnung der gerichtlichen Zuständigkeiten in Schleswig-Holstein) liegt nicht in der Disposition der betroffenen Gerichte, sondern in einer von übergeordneten Gesichtspunkten geprägten Entscheidung des Gesetzgebers.
Normenkette
GVG § 198 Abs. 1; SGG § 73a Abs. 1; ZPO § 114 S. 1
Tenor
Der Antrag der Kläger, ihnen für die Durchführung des Entschädigungsverfahrens 12 SF 45/12 EK Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt ... als Prozessbevollmächtigten beizuordnen, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Kläger begehren von dem beklagten Land eine Entschädigung wegen einer überlangen Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Schleswig S 25 AS 373/11.
In jenem Verfahren stritten die Kläger sowie ihre vier mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft stehenden Kinder gegenüber dem Jobcenter SGB II im Kreis R... E... über die Höhe von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in den Monaten September bis November 2009. In dem Rechtsstreit ging es um die Frage, in welcher Höhe eigenes Erwerbseinkommen und Ausbildungsvergütungen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auf den Leistungsanspruch anzurechnen seien.
Die Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben am 21. April 2010 gegen die Entscheidung des Jobcenters Klage bei dem Sozialgericht Kiel. Eine Klagerwiderung des Jobcenters ging nach einer Erinnerung durch das Sozialgericht vom 26. Juli 2010 am 8. Oktober 2010 beim Sozialgericht ein. Antragsgemäß wurde den Klägern in der Folgezeit Akteneinsicht gewährt; der Zeitpunkt der Akteneinsicht lässt sich der Verfahrensakte nicht entnehmen. Das Sozialgericht erinnerte am 10. Dezember 2010 an die Klagbegründung, die am 14. Januar 2011 beim Sozialgericht einging. Mit Verfügungsschreiben vom 22. März 2011 wies das Sozialgericht die Kläger darauf hin, dass infolge der Änderung des Schleswig-Holsteinischen Ausführungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz (SGGAH SH) mit Wirkung vom 1. April 2011 das Sozialgericht Schleswig für die Durchführung des Rechtsstreits zuständig sei und gab hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Beschluss vom 8. April 2011 verwies das Sozialgericht Kiel den Rechtsstreit an das Sozialgericht Schleswig; dort gingen die Akten am 26. April ein. Am 29. September 2011 forderten die Kläger das Sozialgericht auf, das Verfahren zu fördern. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2011 wies das Sozialgericht Schleswig auf die Gerichtsbelastung hin und führte dazu aus, dass derzeit Verfahren der Jahrgänge 2007 und 2008 bearbeitet würden. Am 3. Januar 2012 erhoben die Kläger die Verzögerungsrüge. Das Sozialgericht forderte am 11. Januar 2012 erneut die Verwaltungsakten an (Eingang 16. Januar 2012). Mit Verfügung vom 4. Mai 2012 lud das Sozialgericht den Rechtsstreit zur mündlichen Verhandlung auf den 25. Mai 2012. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger bat am 9. Mai um die Verlegung des Verhandlungstermins wegen Unabkömmlichkeit. Daraufhin verlegte das Sozialgericht den Verhandlungstermin auf den 31. Mai 2012. In dem Termin wurde der Rechtsstreit verhandelt. Die Beteiligten des Verfahrens verglichen sich dahingehend, dass das Jobcenter der gesamten Bedarfsgemeinschaft für die drei Monate insgesamt einen Betrag von 100,00 EUR an weiteren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nachzahlte.
Am 11. September 2012 haben die Kläger dieses Verfahrens bei dem beklagten Land eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des Verfahrens S 25 AS 373/11 des Sozialgerichts Schleswig in Höhe von 1.200,00 EUR pro Person, insgesamt 2.400,00 EUR, beantragt und hierzu vorgetragen, die Dauer...