Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. bedarfsunabhängige Zulassung. psychologischer Psychotherapeut. einstweiliger Rechtsschutz. Existenzbedrohung. Rechtswidrigkeit. Nachweis von 250 Behandlungsstunden innerhalb des sogenannten Zeitfensters
Leitsatz (amtlich)
1. In einem Antragsverfahren auf bedarfsunabhängige Zulassung psychologischer Psychotherapeuten zur vertragsärztlichen Behandlung können die Sozialgerichte einstweiligen Rechtsschutz schon nach der Entscheidung des Zulassungsausschusses und nicht erst nach derjenigen des Berufungsausschusses gewähren.
2. Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes findet § 123 Abs 1 S 2 VwGO entsprechende Anwendung.
3. Ein Anordnungsanspruch ist dann zu bejahen, wenn aufgrund einer vorläufigen rechtlichen Prüfung zu erwarten ist, daß das Hauptsacheverfahren zu einem für den Antragsteller/die Antragstellerin positiven Ergebnis führen wird.
4. Wird die Zulassung zu einem Beruf kontingentiert, wie das in § 95 Abs 10 SGB 5 der Fall ist, so müssen die Auswahlkriterien gesetzlich geregelt sein.
5. Verlangen die Zulassungsgremien den Nachweis von 250 Behandlungsstunden innerhalb des § 95 Abs 10 S 1 Nr 3 SGB 5 aufgeführten sogenannten Zeitfensters, so widerspricht das dem Vorbehalt des Gesetzes und ist deshalb rechtswidrig.
6. Ein Anordnungsgrund ist dann zu bejahen, wenn eine einstweilige Zulassung zur Abwendung wesentlicher - dh nicht unbedingt schwerer - Nachteile für den Antragsteller/die Antragstellerin erforderlich erscheint. Als wesentlich sind ua Nachteile finanzieller und damit wirtschaftlicher Art anzusehen, die in Kauf genommen werden müßten, während der Antragsteller/die Antragstellerin sein/ihr Recht in einem lange dauernden Hauptsacheverfahren erstreiten muß.
7. Einer Zulassung des Antragstellers/der Antragstellerin zur vertragsärztlichen Versorgung durch einstweilige Regelung bis zum Abschluß des Hauptsachverfahrens steht nicht entgegen, daß vorläufiger Rechtsschutz grundsätzlich nicht die Hauptsache vorwegnehmen darf.
8. Unter Berücksichtigung der Existenzbedrohung des/der Antragstellers/in durch ein Hinausschieben der Zulassung bis zum Abschluß des Hauptsacheverfahrens überwiegen grundsätzlich deren Interessen an einer vorläufigen Zulassung gegenüber den Interessen der Vertragsärzteschaft an der Ablehnung einer vorläufigen Regelung.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, daß das Sozialgericht ihn verpflichtet hat, die Beschwerdegegnerin bis zur endgültigen Entscheidung über deren Antrag auf Zulassung vorläufig zur bedarfsunabhängigen vertragsärztlichen Versorgung als psychologische Psychotherapeutin zuzulassen.
Die 1952 geborene Beschwerdegegnerin erhielt nach entsprechendem Studium 1978 von der Universität H den Grad einer Diplompsychologin verliehen. Anschließend arbeitete sie in ihrem Beruf u.a. am Kreiskrankenhaus I, an der Universität H, in einer sozialtherapeutischen Wohngruppe für psychisch Kranke, als Vertreterin einer Psychologin in F, im Sozialpsychiatrischen Dienst des Bezirksamtes H sowie bei letzterem innerhalb eines EG-Projektes. Seit November 1994 ist die Beschwerdegegnerin als Diplompsychologin in eigener Praxis tätig. Mit Urkunde vom 8. Februar 1999 erhielt sie vom Landesamt für Gesundheit und Arbeitssicherheit des Landes Schleswig-Holstein die Approbation als psychologische Psychotherapeutin.
Den am 29. Dezember 1998 eingegangenen Antrag der Beschwerdegegnerin auf bedarfsunabhängige Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung als psychologische Psychotherapeutin (§ 95 Abs. 10 Sozialgesetzbuch, Teil V -- SGB V) lehnte der Beschwerdeführer mit Bescheid vom 17. Mai 1999 ab. Zur Begründung führte er aus, die Beschwerdegegnerin erfülle nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für die begehrte Zulassung. Der Fachkundenachweis nach den §§ 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 1, 95 c Satz 2 Ziffer 3 SGB V i.V.m. § 12 Abs. 3 Satz 3 des Psychotherapeutengesetzes sei nicht geführt worden. Die von der Beschwerdegegnerin eingereichten 30 Falldokumentationen würden nicht anerkannt, da hierfür ausschließlich Eigenbelege gefertigt worden seien, es fehlten ärztliche Notwendigkeitsbescheinigungen und der Nachweis, daß diese Behandlungen im Richtlinienverfahren durchgeführt worden seien. Ebensowenig seien 2.000 Stunden psychotherapeutischer Behandlungstätigkeit nachgewiesen. Zudem habe die Beschwerdegegnerin nicht hinreichend unter Beweis gestellt, daß sie in der Zeit vom 25. Juni 1994 bis zum 24. Juni 1997 an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen habe (§ 95 Abs. 10 Satz 1 Ziffer 3 SGB V). Eine Teilnahme im Sinne dieser Vorschrift liege nicht bereits dann vor, wenn in dem genannten Zeitraum ein Behandlungsfall an einem Tag nachgewiesen sei. Erforderlich sei vielmehr, daß in dem Dreijahreszeitraum ca. 250 Behandlungsstunden psychotherapeutischer Tätigkeit in eigener niedergelassener Praxis erbracht und nachgewiesen seien. Die Beschwerdegegnerin...