Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Sachverständigenvergütung. gutachterliche Beurteilung. erforderlicher Zeitaufwand. Plausibilitätsprüfung. allgemeine Erfahrungswerte
Leitsatz (amtlich)
Die Vergütung von Sachverständigen in der Sozialgerichtsbarkeit orientiert sich an folgenden Erfahrungswerten:
1. Für das Aktenstudium ist davon auszugehen, dass ein Sachverständiger 100 - 150 Blatt je Stunde auswertet. Die benötigte Zeit ist abhängig von der Aufgabenstellung und der Zusammensetzung der Akten.
2. Die benötigte Zeit für die Ausarbeitung der gutachterlichen Beurteilung (einschl. Diagnose, Diskussion und zusammenfassende Beantwortung der Beweisfrage) ist mit Hilfe einer sog. Standardseite zu ermitteln. Die Standardseite umfasst 2000 Anschläge inklusive Leerzeichen. Bei Gutachten der Honorargruppe M 3 (§ 9 Abs 1 JVEG) ist für jede Standardseite 1 Stunde anzusetzen.
3. Für das Diktat des ausgearbeiteten Textes und dessen Korrektur ist 1 Stunde für 6 Standardseiten anzusetzen.
Tenor
Der Sachverständige ist mit 2.382,25 EUR zu vergüten.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
In dem Berufungsverfahren L 8 U 13/06 geht es um die Frage, ob eine Polyneuropathie und eine Parkinson-Erkrankung als Berufskrankheiten anzuerkennen sind, weil der Kläger als Maler schädigenden Stoffen ausgesetzt war.
Der Senat beauftragte den Antragsteller am 11. Dezember 2008, unter Auswertung der vorhandenen medizinischen Unterlagen und nach Untersuchung des Klägers ein internistisch-arbeitsmedizinisches Gutachten gemäß § 109 SGG zu den geltend gemachten Erkrankungen, zur Kausalität zwischen diesen und den schädigenden Einwirkungen und schließlich zur Höhe der MdE zu erstellen. Der Antragsteller erhielt hierzu von der Serviceeinheit 183 Seiten Verwaltungsakten und 286 Seiten Gerichtsakten übersandt. Darin waren drei medizinische Gutachten und eine Krankenakte (zusammen gut 100 Seiten) und außerdem sehr viele ärztliche Berichte, Arztbriefe und Stellungnahmen enthalten. Der Antragsteller untersuchte den Kläger und recherchierte in der einschlägigen medizinischen Literatur. Er erstattete ein Gutachten von 22 Seiten. Das Gutachten verzichtet auf die Wiedergabe des Akteninhalts. Die Ergebnisse der persönlichen Befragung und der Untersuchung umfassen sechs Seiten, die Beurteilung und Zusammenfassung mit Diskussion der zum Teil fremdsprachigen medizinischen Literatur erstreckt sich über 12 Seiten. Das Gutachten beruht nach den Angaben des Antragstellers auf insgesamt 33.427 Schreibmaschinenanschlägen.
Mit der Kostenrechnung vom 23. April 2009 machte der Antragsteller insgesamt eine Forderung von 2.409,54 EUR geltend. Der Kostenbeamte kürzte diese Rechnung im Wesentlichen wegen überhöhter Stundenansätze auf 2.028,22 EUR (Feststellung vom 29. April 2009).
Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit dem Antrag auf richterliche Festsetzung. Er machte geltend: Für das Aktenstudium würden üblicherweise 100 Seiten in einer Stunde abgegolten. Bei 469 Seiten Akten insgesamt seien 4,5 Stunden ein angemessener Ansatz. Die gutachtlichen Ausführungen würden sich über 12 Seiten erstrecken. Einleitend seien schon wertende Ausführungen zu Fakten betreffend die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität gemacht. Sie hingen mit den nachfolgenden Darlegungen innerlich zusammen. Die Beurteilung habe einen Umfang von 21.738 Anschlägen, was bei einer Norm von 1.800 Anschlägen eine Stundenzahl von 12 ergebe.
Der Kostenprüfungsbeamte hat an seiner Festsetzung festgehalten.
Auf den Inhalt der Streitakte und die gewechselten Schriftsätze wird im Übrigen verwiesen.
II.
Der Antragsteller ist mit 2.382,24 EUR zu vergüten.
Nach § 8 Abs. 2 JVEG richtet sich die Entschädigung des Sachverständigen nach der erforderlichen Zeit. Nach diesem Gesetzeswortlaut kommt es nicht auf die individuell tatsächlich aufgewandte Zeit an. Entscheidend ist, wie viel Zeit durchschnittlich und objektiv für die Gutachtenerstattung erforderlich ist (Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 8 JVEG Rz. 35, 36). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die vom Sachverständigen angegebene Zeit auch erforderlich war. Dementsprechend beschränkt sich der Kostenbeamte regelmäßig auf eine Plausibilitätsprüfung, indem er die angegebene Zeit mit den allgemeinen Erfahrungswerten vergleicht. Fallen die Angaben aus dem Rahmen, prüft er, ob Besonderheiten des Falles den Ansatz rechtfertigen.
Nach diesen Grundsätzen ist Folgendes festzustellen:
1. Für das Aktenstudium sind 4,5 Stunden anzusetzen. Insgesamt hatte der Antragsteller ca. 470 Blatt Akten auszuwerten. Bei der Frage, wie viele Stunden normalerweise erforderlich sind, um 470 Blatt Akten auszuwerten, ist entscheidend, wie viele Blatt aus medizinischer Sicht für ihn interessant sind. Denn erfahrungsgemäß enthalten die Verwaltungs- und Gerichtsakten auch eine große Zahl von Seiten, die für die medizinische Fragestellung uninteressant sind und nach kurzem Anlesen überblättert werden können. Jede Akte ist anders zusammengesetzt und eine...