Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Beweisaufnahme. keine Ablehnung eines Sachverständigen in zweiter Instanz
Leitsatz (amtlich)
Ein Sachverständiger, der in der ersten Instanz im Rahmen der Beweisaufnahme vernommen worden ist, kann im Berufungsverfahren nicht in entsprechender Anwendung des § 41 Nr. 5 ZPO oder des § 41 Nr. 6 ZPO abgelehnt werden.
Tenor
Der Antrag des Klägers, Dr. ..., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, ..., als Sachverständigen wegen Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Kläger verfolgt in dem Berufungsverfahren einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung anstelle der bisher gewährten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit weiter.
In dem Klageverfahren hat das Sozialgericht Lübeck den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. ..., ..., als Sachverständigen zu den Gesundheitsstörungen und dem Leistungsvermögen des Klägers vernommen (Termingutachten vom 9. Februar 2006, vorab übersandte schriftliche Zusammenfassung vom 25. Januar 2006). Im Wesentlichen gestützt auf dieses Gutachten hat das Sozialgericht am 9. Februar 2006 die Klage abgewiesen.
In dem Berufungsverfahren hat der Senat mit Schreiben vom 6. Juli 2007 Dr. ... zu dem auf den 4. September 2007 anberaumten Verhandlungstermin als Sachverständigen geladen mit dem Gegenstand der Vernehmung “Erläuterung des Gutachtens vom 25. Januar 2006 unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens des Klägers und insbesondere im Hinblick auf die neurologische Symptomatik und die daraus und aus deren Behandlung folgenden Konsequenzen für das Leistungsvermögen des Klägers.„
Die Terminsmitteilung für den Verhandlungstermin am 4. September 2007 mit dem darin enthaltenen Hinweis auf die Ladung des Sachverständigen Dr. ... ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 11. Juli 2007 zugegangen.
Mit dem am 13. Juli 2007 bei Gericht eingegangenen Schreiben lehnt der Kläger Dr. ... wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dr. ... sei bereits in der ersten Instanz vom Sozialgericht Lübeck zum Sachverständigen bestellt worden. Sein Gutachten sei auch Grundlage für das angefochtene Urteil vom 9. Februar 2006 gewesen.
II.
Der statthafte (§ 118 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i. V. m. § 406 Zivilprozessordnung - ZPO -) und fristgerecht (binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen; § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO) eingegangene Antrag ist unbegründet. Es besteht kein Grund für die Ablehnung des Sachverständigen Dr. ... wegen Befangenheit.
Gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Gemäß § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter sowohl in den (in § 41 ZPO geregelten) Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.
Ein Ablehnungsgrund folgt weder aus § 41 Nr. 5 ZPO noch aus § 41 Nr. 6 ZPO; weitere Tatbestände des § 41 ZPO kommen hier von Vornherein nicht in Betracht.
Gemäß § 41 Nr. 5 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen in Sachen, in denen er als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist. Diese Vorschrift regelt ersichtlich den Ausschluss der Teilnahme an einem Prozess in zwei verschiedenen Verfahrensfunktionen, nicht hingegen die Teilnahme an einem Prozess in derselben Verfahrensfunktion in zwei verschiedenen Rechtszügen. Insofern ist es auch folgerichtig und spricht nicht etwa - im Umkehrschluss - für die Anwendbarkeit des § 41 Nr. 5 ZPO auf eine Tätigkeit als Sachverständiger in der Vorinstanz, wenn in § 406 Abs. 1 Satz 2 ZPO ausdrücklich (nur) geregelt ist, dass ein Ablehnungsgrund nicht daraus entnommen werden kann, dass der Sachverständige “als Zeuge„ vernommen worden ist.
Auch der Ausschlusstatbestand des § 41 Nr. 6 ZPO greift nicht ein. Nach § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen in Sachen, bei denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt. Ein Sachverständiger wirkt hingegen nicht bei dem Erlass einer Gerichtsentscheidung mit, er ist vielmehr - lediglich - Hilfsperson des Gerichts bei der Ermittlung des dem Urteil zugrunde zu legenden Sachverhalts.
Dass ein Sachverständiger, der in der Vorinstanz vernommen worden ist, im Berufungsverfahren nicht allein aus diesem Grund in entsprechender Anwendung des § 41 Nr. 5 ZPO oder des § 41 Nr. 6 ZPO als Sachverständiger abgelehnt werden kann, entspricht der ganz herrschenden Meinung (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 1961 - IV ZB 400/60 - MDR 1961, S. 397, Leitsatz 2; OLG Köln, MDR 1990, S. 1121; Zöller, Zivilprozessordnung, 26. Aufl. 2007, § 406 Rz. 9; Leipold in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Aufl. 2006 § 406 Rz. 6 jewei...