Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Europarechtskonformität. Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums. Sozialhilfeanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ist europarechtkonform und daher auf Unionsbürger uneingeschränkt anwendbar.
2. Aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG folgt, dass bei Bedürftigkeit für wirtschaftlich aktive jedoch erwerbslose Unionsbürger Leistungen nach dem 3. Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch (SGB XII) in Betracht kommen müssen. Die Sperrwirkung des § 21 S 1 SGB XII erstreckt sich deshalb nicht auf vom Leistungsausschluss gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II betroffene EU-Ausländer.
3. Der Leistungsausschluss gem § 23 Abs 3 S 1 SGB XII steht einer grundsätzlichen Anspruchsberechtigung nach dem 3. Kapitel des SGB XII jedenfalls für Staatsangehörige eines der Signaturstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) nicht entgegen.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 2. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutz um die vorläufige Gewährung von existenzsichernden Leistungen zum Lebensunterhalt. Insbesondere geht es um die Frage, ob der Antragsteller zu 2) als erwerbsfähiger Unionsbürger von Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und auch nach dem Sozialhilferecht (SGB XII) ausgeschlossen ist.
Die am ___ 1990 geborene Antragstellerin zu 1) ist deutsche Staatsangehörige und hat im August 2011 ihre Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin in K___ abgeschlossen. Sie verfügt derzeit über kein Erwerbseinkommen. Der am ___ 1981 in Griechenland geborene Antragsteller zu 2) ist griechischer Staatsangehöriger. Bereits im November 2013 reiste er von Griechenland aus nach Deutschland ein und wohnte bei seiner damals berufstätigen Freundin, der Antragstellerin zu 1), in K___ und zwar im Haus der Eltern der Antragstellerin zu 1) (Bestätigung der Eltern, Bl. 36 VA). Er war bereits im November 2013 vorübergehend beim Antragsgegner als arbeitsuchend gemeldet.
In der Folgezeit hielten sich die Antragsteller im europäischen Ausland auf (u.a. in C___ in Spanien und in Großbritannien). Jedenfalls der Antragsteller zu 2) arbeitete nicht nur geringfügig in G___ (vgl. Verdienstbescheinigungen von März bis Mai 2015 über ein monatliches Nettoentgelt von 1.481,29 Britisches Pfund). Im Mai 2015 reisten die Antragsteller gemeinsam wieder nach Deutschland ein und leben seit dem 22. Mai 2015 mit den Eltern der Antragstellerin zu 1) in deren Haus in K___. Nach einer Bescheinigung der Eltern (Bl. 37 VA) betragen ihre “Wohnnebenkosten (Müllentsorgung, Gas, Wasser, Strom)„ pauschal 125,00 EUR monatlich. Der Antragsteller zu 2) hat mehrere Initiativbewerbungen unternommen und besucht einen Sprachkurs, um Deutschkenntnisse zu erwerben.
Am 28. Mai 2015 beantragten die Antragsteller ausdrücklich als Bedarfsgemeinschaft beim Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Formularmäßig wurde eine Unterstützung durch Verwandte und Verschwägerte verneint. Mit Bescheid vom 21. Juli 2015 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers zu 2) in vollem Umfang ab. Gleichzeitig bewilligte er der Antragstellerin zu 1) monatliche Leistungen in Höhe von 327,50 EUR für die Zeit von Juni bis 30. November 2015 und einen anteiliger Betrag für den Monat Mai 2015. Dabei rechnete der Antragsgegner ausgehend von einem Regelbedarf von 360,00 EUR ein Einkommen in Form von sonstigem Unterhalt in Höhe von 125,00 EUR (bereinigt 95,00 EUR) an, was zu einem Regelbedarf in Höhe von 265,00 EUR führte. Außerdem berücksichtigte er einen anteiligen Bedarf für die Kosten der Unterkunft in Höhe von 62,50 EUR und damit die Hälfte der in Höhe von 125,00 EUR nach seiner Ansicht geltend gemachten Kosten für die Unterkunft. Gegen diesen Bescheid haben die Antragsteller Widerspruch eingelegt, der mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2015 zurückgewiesen wurde. Der Antragsteller zu 2) könne sein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein auf die Arbeitsuche stützen und sei daher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 1 SGB II ausgeschlossen. Er könne als nicht verheirateter Lebensgefährte sein Aufenthaltsrecht auch nicht als Familienangehöriger von der Antragstellerin zu 1) ableiten. Das Klageverfahren ist beim Sozialgericht Kiel inzwischen anhängig.
Am 26. August 2015 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Kiel um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und sich zur Begründung auf den Beschluss des erkennenden S...