Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht bzw bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Verwirklichung der Voraussetzungen für ein Freizügigkeitsrechts als Arbeitnehmer nach Erlass einer Verlustfeststellung gemäß § 5 Abs 4 FreizügG/EU 2004
Orientierungssatz
Im Rahmen der Prüfung, ob ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 vorliegt, sind auch Umstände, die eine materielle Freizügigkeitsberechtigung verwirklichen und zeitlich nach Erlass einer Verlustfeststellung eintreten, zu berücksichtigen. Die Tatbestandswirkung der Verlustfeststellung ist insoweit begrenzt.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 21. Juni 2021 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der beim Sozialgericht Kiel anhängigen Klage der Antragsteller gegen den Bescheid vom 6. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juni 2021 angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für das Beschwerdeverfahren.
Der Antrag der Antragsteller auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt P, K, wird abgelehnt.
Gründe
I.
Streitig ist die Gewährung von existenzsichernden Leistungen bei Verlustfeststellung nach dem FreizügG/EU.
Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Die 1987 geborene Antragstellerin zu 1) reiste am 28. Februar 2014, die Antragsteller zu 2) (geb. 2005) und zu 3) (geb. 2012) reisten am 29. Oktober 2016 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein. Die Antragstellerin zu 4) wurde in der Bundesrepublik Deutschland am 1. März 2017 geboren. Der Vater der Antragstellerin zu 4) ist türkischer Staatsangehöriger mit einer Aufenthaltsgenehmigung nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Die Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der Antragsteller zu 2) bis 4) und seit dem Auszug des Vaters der Antragstellerin zu 4) alleinerziehend. Für ihre Wohnung fallen monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 705,- € an. Für die Antragstellerin zu 3) wird derzeit Unterhaltsvorschuss in monatlicher Höhe von 232,- €, für die Antragsteller zu 2) bis 4) von der Familienkasse Kindergeld in monatlicher Höhe von jeweils 219,- € bzw. 225,- € gewährt.
Die Antragstellerin zu 1.) war auf der Grundlage mehrerer befristeter Arbeitsverträge in der Zeit vom 5. September 2014 bis 4. September 2016 bei der Fa. N, O, tätig davon seit dem 1. Januar 2015 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von zwölf Stunden. Zudem war sie in der Zeit vom 25. März 2015 bis 24. März 2017 auf der Grundlage mehrerer befristeter Arbeitsverträge bei der Fa. D Service GmbH, H, mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt. Seit dem 11. Juni 2021 steht die Antragstellerin wieder in einem Beschäftigungsverhältnis (zunächst Arbeitsvertrag vom 11. Juni 2021 mit der Firma W Gebäudereinigung H GmbH & Co.KG mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von zwölf Stunden zu einer Stundenvergütung von 11,11 €, Kündigung mit Schreiben vom 12. Juli 2021). Mit Arbeitsvertrag vom 13. Juli 2021 hat sie eine Beschäftigung bei der Firma D Service Deutschland GmbH zum 16. Juli 2021 aufgenommen (wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden und einer Stundenvergütung von 11,11 €; voraussichtliche monatliche Vergütung in Höhe von 1.443,19 € brutto / 1.105,63 € netto). Über die Arbeitsaufnahme der Antragstellerin zu 1) ab dem 11. Juni 2021 wurde das Gericht erst im Rahmen des Beschwerdeverfahrens informiert.
Die Antragstellerin zu 2.) war in den Schuljahren 2016/2017 und 2017/2018 Schülerin einer DaZ-Klasse am Gymnasium W1. Seit dem Schuljahr 2018/2019 besucht sie die L-Schule in K. Zum Schuljahr 2021/2022 hat sie die Schule wegen einer Schwangerschaft mit einem im September 2021 bevorstehenden Entbindungstermin ausgesetzt. Der Antragsteller zu 3.) besucht seit dem Schuljahr 2019/2020 die H-Grundschule.
Mit Bescheid vom 24. Februar 2021 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. April 2021 bis 31. März 2022.
Die Beigeladene hat als Ausländerbehörde durch Bescheid vom 27. April 2021 den Verlust des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts der anwaltlich vertretenen Antragsteller festgestellt, wogegen die Antragsteller am 12. Mai 2021 Widerspruch eingelegt haben. Mit Schreiben vom 24. Juni 2021 haben die Antragsteller der Ausländerbehörde der Beigeladenen mittgeteilt, dass eine Beschäftigung vorliege und den Arbeitsvertrag eingereicht. Mit Bescheid vom 23. Juli 2021 wurde der Widerspruch zurückgewiesen und seitens der Antragsteller Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Außerdem beantragten die Antragsteller bei der Beigeladenen mit Schreiben vom 21. Mai 2021 Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bzw. nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Den Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII lehnte die Beigeladene mit Bescheid vom 1. Jun...