rechtskräftig: ja BSG-Az.: B 6 KA 28/00 R

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Anordnung des persönlichen Erscheinens; Fristsetzung zur Vollmachtseinreichung; Gerichtsakten; Gerichtsbescheid; Organ der Rechtspflege; Prozeßvollmacht; Rechtsanwalt; Unzulässigkeit der Klage; Verwaltungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Im sozialgerichtlichen Verfahren ist eine Prozeßvollmacht grundsätzlich spätestens bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zu den Gerichtsakten einzureichen.

Eine im Verwaltungsverfahren vorgelegte und in den beigezogenen Verwaltungsakten befindliche Prozeßvollmacht gilt nicht als zu den Gerichtsakten gelangt und reicht deshalb zum Nachweis der Vertretungsberechtigung im Prozeß zumindest dann nicht aus, wenn sie sich nicht klar auch auf das dem Verwaltungsverfahren folgende Gerichtsverfahren bezieht und in letzterem nicht ausdrücklich auf diese Bevollmächtigung Bezug genommen wird. Es reicht nicht, daß das im Verwaltungsverfahren vorgelegte Formular mit „Prozeßvollmacht” überschrieben worden ist und auch zur „Einlegung von Rechtsmitteln” berechtigt.

Im sozialgerichtlichen Verfahren ist – anders als im Zivilprozeß und im Verwaltungsprozeß – das Fehlen einer Prozeßvollmacht von Amts wegen zu beachten, auch wenn als Prozeßbevollmächtigter ein Rechtsanwalt das Verfahren betreibt. § 88 Abs. 2 ZPO ist hier nicht – auch nicht entsprechend – anwendbar. Daran ändert die Stellung des Rechtsanwalts als ein Organ der Rechtspflege nichts.

Aus der im sozialgerichtlichen Verfahren geltende Amtsermittlungspflicht folgt nicht die Pflicht des Gerichts, beim Fehlen einer Prozeßvollmacht das persönliche Erscheinen des – angeblich vertretenen – Beteiligten zur mündlichen Verhandlung anzuordnen, um das Vorhandensein einer Bevollmächtigung zu erforschen.

Bei einer Entscheidung des Rechtsstreits durch Gerichtsbescheid muß zur Vermeidung der Abweisung der Klage wegen Unzulässigkeit die Prozeßvollmacht bis spätestens unmittelbar vor der Absendung der Entscheidung zu den Gerichtsakten gelangen.

Hat das Sozialgericht wegen fehlender Prozeßvollmacht die Klage als unzulässig angewiesen, so kann der Mangel des Fehlens einer Vollmacht im nachfolgenden Berufungsverfahren nicht mehr geheilt werden, sofern das Sozialgericht unter Fristsetzung zur Vorlage der Vollmacht aufgefordert hatte, es sei denn, die nachgereichte Vollmacht wurde nachweislich bereits vor Erlaß des Gerichtsbescheides ausgestellt.

 

Normenkette

SGG § 73 Abs. 1-4, §§ 105, 111 Abs. 1, § 202; ZPO §§ 80, 88 Abs. 2; VwGO § 67 Abs. 3

 

Verfahrensgang

SG Kiel (Entscheidung vom 27.05.1999; Aktenzeichen S 16 KA 388/97)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 13.12.2000; Aktenzeichen B 6 KA 27/00 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kiel vom 27. Mai 1999 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Beklagten im zweiten Rechtszug.

Im übrigen findet eine Kostenerstattung unter den Beteiligten nicht statt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten wegen der Verordnung von Arzneimitteln; im Quartal III/95. Vorrangig geht es um die Frage der Unzulässigkeit der Klage wegen des Fehlens einer Prozeßvollmacht.

Der Kläger ist seit 1983 zur vertragsärztlichen Versorgung als Kinderarzt in T. zugelassen. Auf Prüfanträge der Beigeladenen setzte der Prüfungsausschuß mit Bescheid vom 10. Dezember 1996 einen Arzneimittelregreß in Höhe von 3.909,49 DM für das Quartal III/95 fest. Hiergegen legte der Kläger durch seine Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren, die Rechtsanwälte Laging und Stark, Widerspruch ein. Dem Widerspruch war eine „Prozeßvollmacht” auf einem Vordruck beigefügt, die die Bezeichnung trug „In Sachen Dr. P. gegen BA wegen Wirtschaftlichkeitsprüfung – Arzneiverordnung – III/95”. Sie erstreckte sich u. a. auf die Befugnis zur „Einlegung und Rücknahme von Rechtsmitteln”. Der Widerspruch wurde nicht schriftlich begründet. Am 21. Mai 1997 fand vor dem Beklagten eine Verhandlung statt, in der der Kläger mit Rechtsanwalt Stark teilnahm. Auf diese Verhandlung hin wurde in der Sitzung des Beklagten folgender Beschluß gefaßt: „Der Widerspruch wird in der Sache zurückgewiesen. Der Regreß wird auf 3.697,21 DM korrigiert.” Hierüber erteilte der Beklagte dem Kläger den Bescheid vom 16. Oktober 1997.

Am 13. November 1997 erhob Rechtsanwalt L. mit der Angabe, namens und mit Vollmacht des Klägers zu handeln, Klage vor dem Sozialgericht Kiel. Die Klage wurde nicht begründet.

Mit Schreiben vom 5. März 1999 teilte der Kammervorsitzende den Rechtsanwälten L. und S. mit, daß eine Vollmacht, um deren Übersendung schon mit der Bestätigung des Klageeinganges gebeten worden war, bislang nicht zu den Gerichtsakten gereicht worden sei. Hierfür werde eine Frist bis zum 30. April 1999 gesetzt. Nach fruchtlosem Ablauf erwäge er eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid. Hierzu werde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Dieses Schre...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge