Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung. Anspruch auf Krankenhausbehandlungskosten gem § 109 Abs 4 S 3 SGB 5. Rechtsinstitut der Verwirkung. Ausschöpfung der Verjährungsfristen. Fehlen eines Verwirkungsverhaltens. kein Vertrauenstatbestand. bloßer Zeitablauf

 

Orientierungssatz

1. Das Rechtsinstitut der Verwirkung gilt grundsätzlich auch im öffentlichen Recht.

2. Der Gläubiger einer Forderung ist grundsätzlich berechtigt, die Verjährungsfrist vollen Umfangs auszuschöpfen.

3. Eine Verwirkung stellt eine Einschränkung des Rechts des Gläubigers auf Ausschöpfung der Verjährungsfrist dar. Sie verlangt neben dem Zeitablauf ein positives Handeln des Gläubigers, aufgrund dessen der Schuldner davon ausgehen kann, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht und er sich entsprechend eingerichtet hat. Eine Untätigkeit reicht hierfür jedenfalls dann nicht, wenn keine Handlungspflicht bestand.

4. Eine Krankenhausforderung wird nicht dadurch verwirkt, dass das Krankenhaus keine Verlängerung des stationären Aufenthalts anzeigt oder auf eine gutachterliche Überprüfung verzichtet.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 17. Januar 2008 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.024,45 EUR nebst 2 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2003 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Verfahrenskosten beider Rechtszüge.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 3.024,45 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 3.024,45 EUR geltend. Dabei geht es um die Frage, ob die Forderung verwirkt ist.

In der psychiatrischen Klinik des Klägers wurde in der Zeit vom 19. September bis 16. Oktober 2002 der Versicherte der Beklagten D. P. stationär behandelt. Der Kläger stellte am 2. Oktober 2002 einen Kostenübernahmeantrag für eine voraussichtliche Behandlungsdauer bis zum 12. Oktober 2002, der am 7. Oktober 2002 bei der Beklagten einging. Ein Verlängerungsantrag folgte nicht. Mit Schreiben vom 14. Oktober 2002 befristete die Beklagte die Kostenübernahme für den Krankenhausaufenthalt vorerst bis zum 2. Oktober 2002. Am 21. Oktober 2002 stellte der Kläger der Beklagten die Kosten des gesamten stationären Aufenthalts in Höhe von 6.281,85 EUR in Rechnung. Die Entlassungsanzeige ging am selben Tag ein. Am 6. November 2002 zahlte die Beklagte an den Kläger einen Teilbetrag für den Aufenthalt vom 19. September bis 2. Oktober 2002 in Höhe von 3.257,40 EUR.

Am 14. Dezember 2006 hat der Kläger den restlichen Betrag in Höhe von 3.024,45 EUR für die Zeit vom 3. bis 15. Oktober 2002 beim Sozialgericht Lübeck gerichtlich geltend gemacht und hierzu vorgetragen, er habe die Beklagte telefonisch am 23. November 2006 an die Überweisung erinnert, diese habe ihn auf den Rechtsweg verwiesen. Zu Unrecht stütze sich die Beklagte auf eine Verwirkung der Restforderung, denn allein der Zeitablauf könne nicht zu einer Verwirkung führen. Vielmehr erfordere dies ein entsprechendes Verhalten des Forderungsgläubigers, das bei dem Schuldner das Vertrauen schaffe, die restliche Forderung werde nicht mehr geltend gemacht. Die Beklagte sei über das EDV-gestützte Mahnverfahren mehrfach an die Zahlung erinnert worden. Auch in den vorangegangenen Jahren seien Forderungen erst kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist geltend und gerichtlich anhängig gemacht worden. Der geforderte Zinssatz stütze sich auf die abgeschlossene Pflegesatzvereinbarung.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Befristung der Kostenübernahme bis zum 2. Oktober 2002 und die Rechnungskürzung seien von dem Kläger nicht beanstandet worden. Sie habe daher davon ausgehen müssen, dass ihre Entscheidung von ihm akzeptiert werde.

Im Einverständnis der Beteiligten über die vorgesehene Verfahrensweise hat das Sozialgericht mit Urteil vom 17. Januar 2008 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob eine Krankenhausbehandlung durchgeführt und zur Behandlung des Versicherten erforderlich gewesen und damit ein Zahlungsanspruch des Klägers für den geltend gemachten Zeitraum überhaupt entstanden sei. Denn ein Zahlungsanspruch sei verwirkt und damit erloschen. Dies folge aus dem auch im Sozialrecht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben. Hierfür seien neben einem längeren Zeitablauf, in dem der Gläubiger sein Recht nicht ausgeübt habe, zusätzliche besondere Umstände erforderlich, die die verspätete Geltendmachung des Rechts nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen ließen und die Annahme rechtfertigten, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht. Es müsse ein Verwirkungsverhalten des Forderungsberechtigten und ein Vertrauenstatbestand bei dem Verpflichteten vorliegen. Das sei der Fall, denn der Kläger habe es während eines längeren Zeitraumes unterlassen, seinen Zahlungsanspruch geltend zu machen. Nach der Rechnungslegung vom 21. Oktober 2002 habe er erst am 14. Dezember 2006 die ...

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