rechtskräftig: nein
Entscheidungsstichwort (Thema)
Multiple Sklerose. Arzneimittel. off-label-use. Immunglobulin 7 S. Wirksamkeit
Leitsatz (amtlich)
Für die Basistherapie (Schubprophylaxe) der schubweise verlaufenden multiplen Sklerose besteht eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg mit dem nur für andere Indikationsbereiche zugelassenen Immunglobulin 7 S. Dem sog. off-label-use stehen insoweit keine rechtlichen Schranken entgegen (Konkretisierung von BSG, Urt. v. 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R, BSGE 89, 184 ff. = NZS 2002, 646 ff.).
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 31 Abs. 1 S. 1; AMG § 21 Abs. 1, § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 6, § 29 Abs. 3 Nr. 3
Verfahrensgang
SG Schleswig (Urteil vom 10.07.2001; Aktenzeichen S 2 KR 86/99) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 10. Juli 2001 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin 3.174,00 DM für drei Behandlungsmonate zu erstatten.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des zweiten Rechtszuges zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für eine Therapie der Klägerin mit Immunglobulin 7 S zu übernehmen.
Die 1968 geborene Klägerin war bis zum 31. Dezember 2000 bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Im März 1997 wurde bei ihr eine Multiple Sklerose-Erkrankung erkannt. Sie beantragte am 11. Dezember 1998 unter Vorlage eines entsprechenden Schreibens der Neurologin Frau Prof. Dr. H. vom J. Krankenhaus B. die Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit Immunglobulinen. Frau Prof. Dr. H. führte in ihrem Schreiben aus, dass bei der Klägerin ein Kinderwunsch bestehe, der den Einsatz der üblichen Medikamente, insbesondere beta-Interferon, ausschließe. Die Beklagte holte ein Gutachten von Frau Dr. Ha. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Schleswig-Holstein vom 21. Dezember 1998 ein, die ausführte, die Behandlung mit beta-Interferonen oder Copolymer sei vorrangig. Der Einsatz von Immunglobulinen sei erst nach erfolgloser Anwendung dieser zugelassenen Arzneimittel diskutabel. Immunglobuline seien für die Behandlung der Multiplen Sklerose nicht zugelassen. Frau Prof. Dr. H. wies in einem Schreiben vom 27. Januar 1999 darauf hin, dass bei der Klägerin eine Kontraindikation gegenüber beta-Interferonen und Copolymeren in Form der geplanten Schwangerschaft bestehe. Ferner führte der behandelnde Arzt der Klägerin, der Neurologe und Psychiater Dr. G., K., am 1. Februar 1999 aus, die Auffassung des MDK entspreche nicht dem derzeitigen Stand der Wissenschaft. Die Beklagte holte daraufhin weitere gutachterliche Stellungnahmen des MDK vom 9. Februar und 23. März 1999 (Dr. S.) ein. Am 15. April 1999 lehnte sie telefonisch gegenüber der Klägerin die Kostenübernahme ab. Sie nahm dabei auf den Inhalt der gutachterlichen Stellungnahmen Bezug. Die Klägerin legte dagegen am 30. April 1999 Widerspruch ein und führte aus, es sei für die Behandlung auf die zum Zeitpunkt der Antragstellung bestehenden Arzneimittelrichtlinien abzustellen. Die Behandlung mit den Immunglobulinen sei notwendig. Nach den neuesten fachlichen Veröffentlichungen sei sie eine regelrechte Behandlungsmethode. Dem ständen die Gutachten des MDK nicht entgegen, denn die Sachverständigen hätten zwar andere Behandlungsmethoden bevorzugt; dessen ungeachtet sei die Therapie mit Immunglobulinen jedoch als alternative und sachgerechte Behandlung einzustufen. Die Klägerin stützte sich hierzu auf den Inhalt vorgelegter ärztlicher Stellungnahmen. Die Behandlung mit Immunglobulinen sei gegenüber einer Behandlung mit Copolymer vorzugswürdig. Sie erfolge einmal monatlich als Tropf, habe keine Nebenwirkungen und schränke das Allgemeinbefinden nicht wesentlich ein. Die Kosten beliefen sich auf ca. 18.000 DM pro Jahr. Copolymer müsse täglich in Form von Spritzen verabreicht werden, könne zu Nebenwirkungen in Form von Hautekzemen, Übelkeit und Ähnlichem führen, beeinträchtige das Allgemeinbefinden und koste ca. 35.000 DM pro Jahr. Frau Prof. Dr. H. praktiziere seit Jahren erfolgreich mit Immunglobulinen. Die Beklagte hielt Rücksprache bei Dr. G.. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 1999 wies sie den Widerspruch zurück. Sie führte aus, die Arzneimittelversorgung sei grundsätzlich auf die nach dem Arzneimittelgesetz verkehrsfähigen Arzneimittel beschränkt. Ein Mittel sei verkehrsfähig, wenn es durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für die bestimmte Indikation des vorgesehenen Anwendungsbereichs zugelassen worden sei. Immunglobuline seien für Multiple Sklerose nicht zugelassen. Ausnahmeweise könne ein Arzneimittel trotz fehlender Zulassung verordnet werden, wenn es im Einzelfall erfolgreich zu einem anderen Verwendungszweck als seinem vorgesehenen eingesetzt werde oder wenn auf Grund von Prüfungsergebnissen die wissenschaftlich ernsthaft begründete Möglichkeit eines Therapieerfolgs in sonst...