Entscheidungsstichwort (Thema)

Erziehungsgeld. Einkommensprognose. Rechtsverbindlichkeit. nachträgliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse. Rücknahme. Aufhebbarkeit. Härtefall

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat die Behörde verfahrensfehlerfrei eine Einkommensprognose nach § 6 Abs 2 BErzGG getroffen und ist der Verwaltungsakt rechtsverbindlich geworden, kann sie nicht nach § 44 SGB 10 mit der Behauptung angegriffen werden, sie sei falsch gewesen.

2. Die rechtsverbindliche Einkommensprognose nach § 6 Abs 2 BErzGG ist nicht wegen nachträglicher Änderung der Verhältnisse iS des § 48 SGB 10 aufhebbar.

3. Nicht unübliche Einkommensschwankungen begründen keinen Härtefall iS des § 6 Abs 7 BErzGG.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 22.08.2000; Aktenzeichen B 2 U 13/00 R)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für ihre am ... geborene Tochter ... ungekürztes Erziehungsgeld vom 7. bis 12. Lebensmonat beanspruchen kann.

Die Klägerin stellte am 25. Juli 1997 einen Antrag auf Gewährung von Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für die Zeit vom 1. bis höchstens zum 12. Lebensmonat ihrer am ... geborenen Tochter ... Eingereicht wurden von der Klägerin verschiedene Einkommensnachweise für sich und ihren Lebenspartner bzw. späteren Ehemann (Heirat am ...). Dieser war als Angestellter und Gesellschafter in der ... GmbH tätig. Die Gesellschaft wurde zum 1. Januar 1998 als Gesellschaft bürgerlichen Rechts fortgeführt.

Nachdem die Klägerin ungekürztes Erziehungsgeld für die ersten 6 Monate ihres Kindes erhalten hatte (Bescheid vom 22. September 1997), teilte der Beklagte ihr durch Bescheid vom 13. Oktober 1997 mit, daß ab dem 7. Monat ein Einkommen von monatlich 644,64 DM auf das Erziehungsgeld anzurechnen sei. Das Erziehungsgeld könne von da an wegen der Höhe des Einkommens nicht gewährt werden.

Mit ihrem Antrag vom 10. Dezember 1997 begehrte die Klägerin die Neuberechnung ihres Anspruchs auf Erziehungsgeld, da ihre gewerbliche Mieteinnahmen seit August 1997 nicht mehr gesichert seien und ihr Ehemann durch seine Selbständigkeit auch über kein geregeltes Einkommen verfüge. Nach Vorlage einer Bescheinigung über den voraussichtlichen Gewinn der Klägerin aus Vermietung für das Jahr 1997 und einer Verdienstbescheinigung ihres Ehegatten für das Jahr 1997 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 26. Januar 1998 (fälschlich bezeichnet als 13. Oktober 1997) ab und führte zur Begründung aus: Nach § 6 Abs. 2 Bundeserziehungsgeldgesetz seien im Rahmen einer Prognoseentscheidung das voraussichtliche Einkommen des Geburtsjahres des Kindes für das erste Lebensjahr und das Einkommen des Folgejahres für das zweite Lebensjahr zugrunde zu legen. Durch die Verwendung des Begriffs "voraussichtlich" in § 6 Abs. 2 BErzGG werde zum Ausdruck gebracht, daß die Entscheidung über das Erziehungsgeld eine in die Zukunft gerichtete Prognose über die Höhe des Einkommens oder der abzugsfähigen Werbungskosten erfordere. Diese Prognose sei aus der Sicht der Erziehungsgeldkassen im Zeitpunkt der Erteilung des Bescheides zu stellen. Dabei seien alle bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes eingetretenen Umstände zu berücksichtigen. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Umstände blieben außer Betracht. Eine Korrektur der Prognose sei lediglich in Härtefällen gemäß § 6 Abs. 7 BErzGG möglich. Ein Härtefall setze ein nicht vorhersehbares schicksalhaftes Ereignis voraus, das die familiäre Situation und die wirtschaftliche Lage der Eltern erheblich verändert habe. Die Voraussetzungen für eine Neuberechnung seien aufgrund der Härteregelung von der Klägerin nicht erfüllt.

Gegen diesen Bescheid wandte sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 28. Januar 1998, zu deren Begründung sie vortrug, daß sich die Einkommenssituation ihres Ehemannes schon ab Juli 1997 verschlechtert habe. Wegen einer schlechten Auftragslage und der Säumigkeit von Schuldnern sei ihrem Ehemann seit diesem Zeitpunkt kein Gehalt mehr ausgezahlt worden. Dies habe die Firma ... am 2. April 1998 bestätigt. Der Ehemann der Klägerin habe auch keine Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit erhalten. Ergänzend nehme sie auf die weiter eingereichten Einkommensunterlagen Bezug.

Der Beklagte forderte noch einen Handelsregisterauszug betreffend die Firma ... und ... GmbH an und wies mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 1998 den Widerspruch der Klägerin zurück.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 22. September 1998 Klage beim Sozialgericht ... erhoben. Sie hat vorgetragen: Ihre Familie habe eindeutig ein unterhalb der für die Gewährung von Erziehungsgeld maßgebenden Einkommensgrenze liegendes Familieneinkommen gehabt. Der Beklagte habe zu Unrecht die mit Antrag vom 10. Dezember 1997 vorgelegten Belege und Nachweise über das Familieneinkommen im Zeitpunkt der Antragstellung nicht berücksichtigt, sondern sich an den im Rahmen des Erstantrages mitgeteilten Angaben orientiert. Es liege auch ein Härtefall im Sinne des § 6 Abs. 7 BErzGG vor. Da sich...

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