Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeld. Mitwirkungspflicht. unvollständige Angaben. Prognoseentscheidung. Härtefall. Leistungsverzicht. Antragsrücknahme
Leitsatz (amtlich)
1. Es gehört zur Mitwirkungspflicht eines Antragstellers, vollständige Angaben zu machen.
2. Erwartete, im Antrag aus welchen Gründen auch immer verschwiegene Werbungskosten führen nicht dazu, daß die nach § 6 Abs 2 BErzGG getroffene Prognoseentscheidung von Anfang an als falsch zu betrachten ist.
3. § 6 Abs 7 BErzGG ist eine Sondervorschrift zu § 48 SGB 10.
4. Der Verzicht auf eine Leistung gibt kein Recht, einen neuen Antrag auf dieselbe Leistung zu stellen.
5. Die Rücknahme eines Antrages ist jedenfalls dann nicht mehr möglich, wenn der darauf ergangene Bescheid rechtsverbindlich geworden ist.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Erziehungsgeld für die am geborene Tochter in der Zeit vom 16. März bis 16. September 1997.
Am 2. Oktober 1996 reichten die Klägerin und ihr Ehemann den am 20. August 1996 unterschriebenen Antrag auf Erziehungsgeld mit weiteren Unterlagen ein. Bei der Frage nach dem Zeitraum, für den Erziehungsgeld beantragt würde (sechs oder 12 Monate), war das Kästchen für 12 Monate angekreuzt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung hatte der Ehemann der Klägerin die Absicht, demnächst ein Versicherungsbüro zu kaufen. Auf hierfür erforderliche, erhebliche Investitionskosten (Werbungskosten) war in den Unterlagen zum Erziehungsgeldantrag kein Hinweis enthalten. Der Kaufvertrag über das Büro wurde im November 1996 abgeschlossen. Danach waren 1996 30.000 DM und 1997 noch einmal 10.000 DM zu zahlen.
Mit Bescheid vom 7. Oktober 1996 gewährte der Beklagte der Klägerin Erziehungsgeld für die ersten sechs Lebensmonate der Tochter. Für die Zeit ab 16. März 1997 wurde die Zahlung von weiterem Erziehungsgeld ausgeschlossen, weil sich nach Anrechnung des Einkommens kein Zahlbetrag mehr ergab. Mit Schreiben vom 23. Januar 1997 wiesen die Klägerin und ihr Ehemann auf die durch die Übernahme des Versicherungsbüros bereits in 1996 entstandenen höheren Werbungskosten hin und baten um Prüfung, ob deswegen über den sechsten Lebensmonat der Tochter hinaus Erziehungsgeld gewährt werden könne. Auf Anforderung des Beklagten reichte die Klägerin hierzu spezifizierte Unterlagen ein. Mit Bescheid vom 17. März 1997 lehnte der Beklagte eine Neuberechnung des ab 16. März 1997 einkommensabhängigen Erziehungsgeldes ab. Die erhöhten Werbungskosten seien erst nach dem Bescheid vom 7. Oktober 1996 angefallen und hätten bei der damaligen Prognoseentscheidung nach § 6 Abs. 2 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) nicht berücksichtigt werden können. Der hiergegen gerichtete Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos. In seinem Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1997 führte der Beklagte unter anderem aus, ein Härtefall i. S. des § 6 Abs. 7 BErzGG liege nicht vor, weil die Übernahme des Versicherungsbüros geplant und die damit verbundene finanzielle Belastung vorhersehbar gewesen sei. Es fehle an einem schicksalhaften Ereignis, das außerhalb jeglicher Lebensplanung liege.
Mit ihrer am 13. Juni 1997 beim Sozialgericht Lübeck eingereichten Klage hat die Klägerin geltend gemacht: Bereits bei der Beantragung des Erziehungsgeldes habe festgestanden, daß ihr Ehemann das Versicherungsbüro übernehmen würde. Der genaue Preis und der Zeitpunkt der Zahlung seien allerdings noch offen gewesen. Um in dem Antrag keine falschen oder ungenauen Angaben zu machen, habe sie es für richtig gehalten, diese Daten erst nach ihrer Konkretisierung dem Beklagten mitzuteilen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 17. März 1997 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 1997 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Erziehungsgeld ab 16. März 1997 bis zum 15. September 1997 in Höhe von monatlich 600 DM zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat sich auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides bezogen und ergänzend ausgeführt: Nach Erlaß des Bescheides vom 7. Oktober 1996 sei der ursprüngliche Antrag verbraucht gewesen. Eine Begrenzung auf die ersten sechs Lebensmonate der Tochter könne nachträglich nicht mehr vorgenommen werden.
Mit Urteil vom 21. Oktober 1997 hat das Sozialgericht -- unter Abweisung der Klage im übrigen -- den Beklagten verurteilt, die Klägerin so zu stellen, als wenn Erziehungsgeld vom 7. bis zum zwölften Lebensmonat der Tochter unter Berücksichtigung von um 30.000 DM erhöhten Werbungskosten zu zahlen gewesen wäre. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt: Die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Erziehungsgeld auch ab 16. März 1997 ergebe sich aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Der Beklagte hätte sich gedrängt fühlen müssen, nach Kenntnis von den erhöhten Werbungskosten, also noch vor Auslaufen des Erziehungsgeldes für die ersten sechs Lebensmonate, die Klägerin auf die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten für den künftigen Bezug von Erziehungsgeld hinzuweisen. Die Klägerin hätte ihren Antrag auf ...