Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Kostenerstattung bei Aufenthalt in einer Einrichtung. Erstattungsanspruch des vorläufig leistenden Sozialhilfeträgers gegen den zuständigen Sozialhilfeträger. örtliche Zuständigkeit für stationäre Leistungen. Einrichtungskette. letzter gewöhnlicher Aufenthalt in den zwei Monaten vor Aufnahme in die erste Einrichtung. Beginn des Leistungsgeschehens vor Inkrafttreten des SGB 12. Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland

 

Leitsatz (amtlich)

Wird eine leistungsberechtigte Person, die sich zuletzt im Ausland aufgehalten hat, in einer stationären Einrichtung aufgenommen, hat der vorläufig leistende Sozialhilfeträger gegen den deutschen Sozialhilfeträger, in dessen Bereich die leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat, auch dann einen Erstattungsanspruch, wenn die leistungsberechtigte Person zwischenzeitlich im Ausland einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben sollte.

 

Orientierungssatz

§ 98 Abs 2 S 1 und 2 SGB 12 finden auch auf ein Leistungsgeschehen Anwendung, das vor dem 1.1.2005 (und damit vor Inkrafttreten des SGB 12) begonnen hat (vgl BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 22/16 R = SozR 4-3250 § 14 Nr 28 RdNr 19).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.02.2023; Aktenzeichen B 8 SO 8/21 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 14. Dezember 2017 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 156.866,65 EUR zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der tatsächlich entstehenden ungedeckten Kosten der vollstationären Unterbringung der Frau I ... R ... im Therapiezentrum R ... über den 31. August 2021 hinaus bis zur Beendigung der dortigen Unterbringung fortbesteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 156.866,65 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Kostenerstattung für einen Hilfefall.

Die Beteiligten streiten um die Leistungspflicht als Sozialhilfeträger für den Leistungsfall der 1963 geborenen I ... R ... (im Folgenden: R.)

Die Hilfeempfängerin lebte bis 28. März 2003 im Stadtgebiet der Beklagten im A ... ... in H ... . Sie flog am 28. März 2003 nach Mexiko mit einer zunächst auf ein halbes Jahr befristeten Aufenthaltserlaubnis. Am 7. Mai 2003 erlitt die Hilfeempfängerin dort einen Ohnmachtsanfall. Am 19. Mai 2003 wurde sie nach Deutschland zurücktransportiert und im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in K ... aufgenommen. Die Klägerin befand sich im Wachkoma. Im Anschluss wechselte sie am 22. Juli 2003 in das neurologische Zentrum ... S ... der S ... ... Kliniken GmbH bis zur Aufnahme im Therapiezentrum K ... in R ... am 8. Januar 2004.

Die Mutter der R. stellte als deren Betreuerin bei der Klägerin am 8. Januar 2004 einen Antrag zur Gewährung von Sozialhilfe (Hilfe zur Pflege im Heim). Die Eltern der R. hatten laut eines Vermerks des Amtes für Soziales des Klägers angegeben, dass R. mit der Absicht nach Mexiko geflogen sei, dort nach Ablauf der für ein halbes Jahr geltenden Aufenthaltserlaubnis auf Dauer zu bleiben. Ihre bis dahin unterhaltene Mietwohnung habe sie vor ihrer Abreise gekündigt und aufgelöst, vorhandenes Inventar und ihren Pkw habe sie vor ihrer Abreise veräußert. Auch im Rahmen der Angaben im schriftlichen Antragsformular vom 8. Januar 2004 gab die Mutter der R. an, dass diese ihr Arbeitsverhältnis gekündigt habe, um den Auslandsaufenthalt in Mexiko anzutreten.

Seit dem 1. Februar 2004 bezieht die R. eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Mit Schreiben vom 12. Januar 2004 wandte sich der Kläger an den Beigeladenen unter Hinweis darauf, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht vorhanden sei und insofern die Zuständigkeit nach § 100 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) § 6a Ausführungsgesetz zum Bundessozialhilfegesetz (AGBSHG) vorliege.

Mit Schreiben vom 20. Januar 2004 sowie 18. Februar 2004 verneinte der Beigeladene die eigene Zuständigkeit mit der Begründung, dass im Ausland kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet werden könne und der letzte gewöhnliche Aufenthalt in H ... gewesen sei. Er verwies auf § 97 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BSHG. Es sei zeitlich bis zum Stichtag 19. Mai 2003 zurückzugehen. Ein ggf. im Ausland begründeter gewöhnlicher Aufenthalt sei unbeachtlich. Es ergebe sich aus der Natur der Sache, dass nur ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland gemeint sein könne. Wolle man hingegen den Einwand des Klägers gelten lassen, liefe die Regelung des § 97 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BSHG stets ins Leere. Daran ändere auch nichts, dass für die Klinikaufenthalte möglicherweise ein anderer Sozialleistungsträger leistungspflichtig gewesen sei.

Mit Schreiben vom 4. März 2004 übersandte der Kläger der Beklagten den Antrag der R. zur Bearbeitung aufgrund deren Zuständigkeit. Zum Zeitpunkt der Rückkehr aus Mexiko sei die R. ohne gewöhnlichen Aufenthalt gewesen, so dass ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge