rechtskräftig: ja
Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermutung; Versorgungsehe; Heirat; Tumorrezidiv
Leitsatz (amtlich)
Wird eine Heirat aus verschiedenen Gründen (u. a. auch wegen eigener Erkrankung) über 5 Jahre hinweg mehrfach verschoben, dann aber eine Woche nach Bekanntwerden eines bösartigen Tumorrezidivs die Ehe geschlossen, ist die in § 594 RVO aufgestellte Vermutung einer sog. Versorgungsehe nicht widerlegt.
Normenkette
RVO § 594
Verfahrensgang
SG Kiel (Entscheidung vom 25.06.1998; Aktenzeichen S 2 U 52/97) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 25. Juni 1998 aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die am … geborene Klägerin ist die Witwe des Versicherten … Dieser war am … geboren und bezog wegen eines Bronchialkarzinoms, das als Berufskrankheit anerkannt war, seit 30. Juli 1994 Verletztenrente nach einer MdE um 100 v. H. (Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 1995). Er verstarb am 18. Januar 1996. Die daraufhin beantragte Witwenrente versagte die Beklagte nach § 594 Reichsversicherungsordnung (RVO), weil die Ehe der Klägerin mit Herrn … seit der Heirat am 7. September 1995 weniger als ein Jahr gedauert habe und die gesetzliche Vermutung, daß es sich um eine sogenannte Versorgungsehe gehandelt habe, nicht widerlegt sei (Bescheid vom 14. Januar 1997, Widerspruchsbescheid vom 8. April 1997).
Über die Motive zur Heirat und die letzten Lebensjahre von Herrn … macht die Klägerin folgende Angaben: Sie habe Herrn … 1989 kennengelernt, der damals mit seiner kranken Mutter in … wohnte. Im Januar 1990 hätten die späteren Eheleute sich verlobt und dabei die Absicht gehabt, im November 1992 zu heiraten. Zu dieser Zeit hätte die Tochter der Klägerin aus erster Ehe die Schule abgeschlossen und eine Ausbildung begonnen. Im August 1990 sei Herr … jedoch an Hodenkrebs erkrankt. Er habe nach operativer, chemotherapeutischer und Strahlenbehandlung drei Kuren durchführen müssen. Nachdem die Mutter von Herrn … einen Platz in einem Pflegeheim erhalten habe, sei die Klägerin 1992 zu ihm gezogen. Sie hätten einen gemeinsamen Mietvertrag gehabt, ihre Vermögensverhältnisse geregelt und sich durch Verfügung zugunsten Dritter für den Fall des Todes eine gegenseitige Absicherung geschaffen. Sie hätten vorgesehen, im Februar 1993 zu heiraten. Da sowohl sie als auch Herr … an einer Kurmaßnahme teilgenommen hätten, sei die Heirat dann auf November 1993 verschoben worden. Weil die Familie des Herrn … streng katholisch sei, hätten die Verlobten schon 1993 in … inoffiziell ihre Hochzeit gefeiert. Aber auch die 1993 geplante offizielle Heirat habe weiter verschoben werden müssen, da die Mutter und der Bruder des Herrn … verstorben seien. Die schließlich für November 1994 geplante Heirat sei nicht zustande gekommen, weil Herr … an Lungenkrebs erkrankt sei. Schon damals habe ihr ein Bediensteter der Beklagten geraten, die Ehe einzugehen, um die Witwenrente aus der Unfallversicherung zu erhalten. Die 1994 eingeleitete Chemotherapie habe gut angeschlagen und Herr … habe sich relativ wohl gefühlt. Am 29. August 1995 habe sie ihn zu dem Lungenarzt Dr. … gefahren und nach der Untersuchung auch wieder abgeholt. Auf dem anschließenden Stadtbummel habe Herr … sie zum Standesamt geführt. Sie hätten das Aufgebot bestellt und die erforderlichen Unterlagen nachgereicht. Sie habe sich darüber nicht gewundert, weil sie schon immer heiraten wollten. Die Heirat am 7. September 1995 sei auch deswegen erfolgt, um die Unterbringung ihres Ehemannes in einem Pflegeheim zu vermeiden. Über die Schwere seiner Erkrankung sei sie bis zum Zeitpunkt der Hochzeit nicht informiert gewesen. Am 8. September 1995 sei er ins Krankenhaus gegangen und nach vorübergehenden Entlassungen dort am 18. Januar 1996 verstorben. Sie selbst habe damals eine Rente aus eigener Versicherung von 800,00 DM und als Witwenrente nach ihrem ersten Ehemann 1.200,00 DM monatlich erhalten. Letztere sei aus Anlaß der Heirat mit 20.000,00 DM abgefunden worden.
Ergänzt wird dieser Vortrag durch Berichte aus dem … Krankenhauses … vom 12. Februar und 11. Oktober 1996, durch einen Bericht des Internisten Dr. … vom 19. September 1996 und die Mitteilung des Dr. … vom 27. August 1996, daß Herr … am 29. August 1995 über das erneute Auftreten seiner bösartigen Erkrankung informiert und eine stationäre Behandlung veranlaßt worden sei.
Wegen der Leistungsverweigerung hat die Klägerin am 22. April 1997 Klage vor dem Sozialgericht Kiel erhoben und zu deren Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzt. Der Wunsch nach einer finanziellen Absicherung habe bei der Heirat nicht im Vordergrund gestanden. Sie verfüge über ein monatliches Einkommen von 2.000,00 DM, so daß sie auf die Witwenrente nicht angewiesen sei. Herr … sei bereits im Jahre 1990 an einem Krebsleiden erkrank...