Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenrentenanspruch. Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe. eheähnliche Lebensgemeinschaft. Motive der Eheschließung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine bereits vor der Eheschließung bestehende langjährige Liebesbeziehung oder Lebensgemeinschaft ist alleine nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe zu widerlegen. Dagegen handelt es sich bei dem unvorhersehbaren plötzlichen Tod des Versicherten um einen Umstand, der regelmäßig gegen eine Versorgungsehe spricht.
2. Zu der Frage, ob alle zur Eheschließung führenden Motive der Ehegatten zu berücksichtigen und in ihrer Bedeutung gegeneinander abzuwägen sind oder ob eine eher pauschalierende Betrachtung unter Beschränkung auf objektiv nach außen tretende Umstände geboten ist.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kiel vom 3. März 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer großen Witwenrente aus der Versicherung des K... G...
Die 1954 geborene Klägerin war nach eigenen Angaben seit vielen Jahren mit dem Versicherten bekannt, als sie im April des Jahres 1994 eine Liebesbeziehung mit ihm einging. Zu dieser Zeit und in den folgenden Jahren waren die Klägerin und der verstorbene Versicherte bei demselben Arbeitgeber, einem Reinigungsunternehmen, beschäftigt. Ab dem 1. September 2003 lebte die Klägerin mit dem Versicherten gemeinsam in einer Wohnung, und zwar zunächst in K..., in der R... und ab dem 1. Dezember 2004 im M...
Im März des Jahres 2005 wurde bei dem Versicherten ein “tiefsitzendes, hepatisch in alle Segmente metastasiertes„ Rectumkarzinom diagnostiziert. Daraufhin wurde am 17. März 2005 eine Rektumamputation durchgeführt und es wurde ein so genannter künstlicher Darmausgang gelegt. Bei der Operation bestätigte sich der bereits zuvor bestehende Verdacht, dass Metastasen in der Leber vorlagen, die nicht zu operieren waren. Anschließend wurde eine palliativ ausgerichtete Chemotherapie durchgeführt. In der Folge traten Komplikationen, wie gehäuft schwere Infekte der Atemwege und des Verdauungstrakts sowie eine Lungenarterienembolie, auf. Wegen der Lungenarterienembolie wurde der Versicherte vom 19. bis zum 22. Juli 2005 im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein stationär behandelt. Für die Zeit ab dem 1. August 2005 wurden dem Versicherten Leistungen aus der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I gewährt. Ebenfalls am 1. August 2005 stellten die Klägerin und der Versicherte nach eigenen Angaben Erkundigungen zu den zuständigen Standesämtern an. Unter dem 21. Oktober 2005 und dem 25. Oktober 2005 ließen sie sich durch die zuständigen Standesämter Abstammungsurkunden ausstellen. Die palliative Chemotherapie konnte nach dem 6. Dezember 2005 aufgrund therapiebedingter Blutbildveränderungen und anschließend wegen auftretender Infektionen nicht mehr fortgesetzt werden. Am 2. Januar 2006 schlossen die Klägerin und der Versicherte die Ehe. Zu diesem Zeitpunkt bezog die Klägerin Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Am 15. Januar 2006 wurde der Versicherte mit beginnendem Leberversagen in das Städtische Krankenhaus Kiel aufgenommen. Er wurde zunehmend kraftloser, trübte ein und verstarb schließlich am 20. Januar 2006.
Am 2. Februar 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten. In dem dazu von der Beklagten vorgelegten Formblatt gab die Klägerin an, dass die Heirat zur Sicherung der erfolgten Betreuung bzw. Pflege des ständig auf Pflege angewiesenen Ehegatten erfolgt und dass der Tod des Ehegatten bei Eheschließung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten gewesen sei.
Die Beklagte zog das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Schleswig-Holstein zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom 28. September 2005 bei und lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 14. März 2006 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass kein Anspruch auf Witwenrente bestehe, da die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert habe und keine besonderen Umstände des Falles nachgewiesen seien, die die Annahme nicht rechtfertigten, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Insbesondere folgende “besondere Umstände„ sprächen gegen eine Versorgungsehe:
- plötzlicher unvorhersehbarer Tod (z. B. Arbeits-/Verkehrsunfall, Verbrechen, Infektionskrankheit),
- Heirat zur Sicherung der erforderlichen Betreuung/Pflege des anderen Ehegatten, wenn der Tod des Ehegatten auf absehbare Zeit nicht zu erwarten war,
- die tödlichen Folgen einer Krankheit waren bei Eheschließung nicht vorhersehbar,
- Nachholung einer gültigen deutschen Trauung durch hier in ungültiger - nach ausländischem Recht gültiger - Ehe lebende Auslände...