Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerlegung der Vermutung der Versorgungsehe

 

Orientierungssatz

1. Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente besteht nicht, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Diese Regelung gilt nur, wenn die Ehe ab dem 1. 1. 2002 geschlossen wurde. Die gesetzliche Vermutung ist nur durch den vollen Beweis des Gegenteils zu widerlegen.

2. Der Widerlegungstatbestand der besonderen Umstände gebietet eine typisierende Betrachtungsweise.

3. Eine länger dauernde nichteheliche Lebensgemeinschaft vor der Eheschließung spricht als besonderer Umstand gegen die Versorgungsvermutung.

4. Das Vorliegen einer konkreten Heiratsabsicht bereits vor dem Auftreten einer lebensbedrohlichen Erkrankung spricht gegen die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe. Das gleiche gilt, wenn die tödlichen Folgen einer Erkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht vorhersehbar oder den Ehepartnern nachweislich nicht bekannt waren.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. September 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach einem Versicherten hat, der während des ersten Ehejahres verstorben ist.

Die erste Ehe der am 7. Mai 1956 geborenen Klägerin endete aufgrund des Todes des Ehemannes und die zweite Ehe der Klägerin durch Ehescheidung im Jahre 1998. Im Laufe des Jahres 1998 lernte die Klägerin den Versicherten Herrn B. K. kennen, den sie im April 2000 in ihren Haushalt aufnahm und mit ihm eine eheähnliche Lebensgemeinschaft führte. In dem Haushalt lebten außerdem drei Kinder der Klägerin aus der geschiedenen Ehe. In der Zeit von etwa Januar oder Februar 2002 bis März 2003 lebte außerdem die pflegebedürftige Mutter des Versicherten in dem Haushalt. Sie verstarb im April 2004.

Im Juli des Jahres 2004 wurde bei dem verstorbenen Versicherten ein Adenokarzinom diagnostiziert. Bei einer Operation am 15. Juli 2004 wurde eine Metastase in Höhe des Brustwirbelkörpers (BWK) 8 entfernt. Eine anschließend durchgeführte ausgedehnte Suche nach dem Primärtumor blieb erfolglos. Bei einer ambulanten Vorstellung des Versicherten im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein am 15. September 2004 wurden eine spinale Metastasierung (BWK 7, 8 und 9) sowie eine suspekte Läsion im Bereich des linken Oberlappens sowie im Bereich der Leber diagnostiziert. Während des stationären Aufenthalts des Versicherten in der Zeit vom 28. September bis zum 11. Oktober 2004 kam es unter Therapie zu einem Fortschreiten der Erkrankung (“Progress unter Radiatio„), und im Entlassungsbericht des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 14. Oktober 2004 zu der strahlentherapeutischen Behandlung des verstorbenen Versicherten in der Zeit vom 31. August 2004 bis zum 5. Oktober 2004 wurde mitgeteilt, dass der Versicherte von den Kollegen der Medizinischen Klinik I in der Klinik für Strahlentherapie und Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Lübeck mit der Frage nach einer palliativen Bestrahlung der Metastasen der Brustwirbelsäule vorgestellt worden sei. Nach Resektion einer Adenokarzinommetastase im Bereich der Brustwirbelsäule bestehe die Indikation zur palliativen Radiatio. Anschließend wurde die Behandlung des Versicherten bis zum 11. Oktober 2004 in der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein fortgeführt. Der Versicherte, der die Klägerin bereits in den vorangegangenen Jahren des Zusammenlebens wiederholt gefragt hatte, ob sie ihn nicht heiraten wolle und der auch beim Vater der Klägerin um die Hand der Tochter angehalten hatte, wandte sich während dieser Krankenhausbehandlung mit einer telefonischen Kurznachricht (SMS) erneut an die Klägerin mit der Bitte, ihn zu heiraten. Daraufhin begab sich die Klägerin an einem der beiden folgenden Tage zum Standesamt, um einen Termin für die Eheschließung in etwa 14 Tagen zu vereinbaren. Als Termin für die Eheschließung wurde auf Wunsch des Versicherten der 22. Oktober 2004 festgelegt. Nach der Eheschließung wurde die palliative Behandlung des Versicherten fortgesetzt und eine Chemotherapie durchgeführt. Auf Wunsch des Versicherten und seiner Ehefrau wurde der Versicherte aus einem weiteren stationären Aufenthalt im März 2005 aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen, wo er nach etwa einer Woche am 24. März 2005 verstarb.

Am 7. April 2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Hinterbliebenenrente nach dem verstorbenen Versicherten. Die Beklagte zog die den Versicherten betreffenden Verwaltungsvorgänge bei. Nach deren Auswertung lehnte sie den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 25. Mai 2005 mit der Begründung ab, dass der Gesetzgeber das Vorliegen einer Versorgungsehe unterstelle, wenn ein ...

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