Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuweisung des Vertragsärztlichen Regelleistungsvolumens - Voraussetzungen einer Praxisbesonderheit bzw. eines Härtefalls
Orientierungssatz
1. Die Zuweisung des vertragsärztlichen Regelleistungsvolumens (RLV) erfolgt nach § 87 Abs. 4 SGB 5 praxisbezogen. Das gesetzgeberische Ziel des RLV liegt in der Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung ärztlicher Tätigkeit i. S. des § 85 Abs. 4 S. 6 SGB 5.
2. Bei der Bestimmung der RLV sind nach § 87b Abs. 3 S. 3 SGB 5 Praxisbesonderheiten zu berücksichtigen, wenn dazu Veranlassung besteht. Die Praxisbesonderheit muss sich aus einem besonderen Versorgungsauftrag oder einer besonderen fachlichen Spezialisierung ergeben, wenn dadurch der durchschnittliche Gruppenfallwert um 30 % überschritten wird.
3. Ein berücksichtigungsfähiger Härtefall liegt vor, wenn das Gesamthonorar des Vertragsarztes um 15 % gegenüber dem Vorjahreswert gesunken ist.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 20. September 2017 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Honorars des Klägers für das Quartal I/2009. Der Kläger macht einen Härtefall und Praxisbesonderheiten geltend. In weiteren Berufungsverfahren des Senats sind die Honorare der Quartale II/2009 bis II/2010, I/2011 und I bis III/2012 streitig.
Der Kläger ist seit dem Quartal I/2008 in P als Chirurg mit der Schwerpunktbezeichnung Viszeralchirurgie und der Zusatzbezeichnung Proktologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, zunächst in einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) und ab dem Quartal II/2008 in einer Einzelpraxis.
Im Quartal I/2008 erzielte die BAG bei ungefähr 1.130 Fällen ein Honorar in Höhe von 94.951,64 €.
Mit Bescheid vom 19. Dezember 2008 teilte die Beklagte dem Kläger für das Quartal I/2009 eine Obergrenze in Höhe von 18.225,15 € mit. Sie legte 647,2 Fälle mit einem Fallwert von 28,16 € zugrunde und gewährte dem Kläger ein Zusatzbudget für Diagnostische Radiologie in Höhe von 3.236,00 €. Die Fallzahl richtete sich nach dem Durchschnitt der Gruppe der Fachärzte für Chirurgie, Kinderchirurgie, Plastische Chirurgie, Herzchirurgie und Neurochirurgie, der Fallwert war der der Arztgruppe. Der Bescheid enthielt eine Rechtsmittelbelehrung, Widerspruch legte der Kläger nicht ein.
Am 8. Januar 2009 stellte er einen Härtefallantrag und trug vor, er erleide gegenüber dem Vergleichswert einen Honorarverlust von 20 %. Er sei der einzige außerhalb von Krankenhäusern in S tätige Chirurg mit dem Schwerpunkt Viszeralchirurgie und führe vor allem Hernienoperationen durch. Ferner behandle er als Proktologe sowohl konservativ als auch operativ. Dies seien Praxisbesonderheiten. Es sei fehlerhaft, die Grenze für die Anerkennung eines Härtefalles erst bei einer Fallwertüberschreitung von 30 % anzunehmen. Den Antrag wies das HVM-Team der Beklagten mit Bescheid vom 18. Juni 2009, der keine Rechtsmittelbelehrung enthielt, zurück. Der Fallwert des Klägers überschreite den durchschnittlichen Fallwert der Arztgruppe nicht um 30 %, sondern lediglich um 22,78 %. Es beständen kein besonderer Versorgungsauftrag und keine bedeutsame fachliche Spezialisierung der Praxis. Es sei keine befristete Ausgleichszahlung zu leisten, da der Kläger keinen Honorarverlust von wenigstens 15 % gegenüber dem Aufsatzquartal erlitten habe, sondern sein Honorar angestiegen sei. Mit seinem Widerspruch vom 11. November 2009 machte der Kläger geltend, sein Fallwert liege konstant bei ungefähr 45,00 €. Die gastroenterologischen Leistungen müssten als Praxisbesonderheit anerkannt werden.
Mit Bescheid vom 17. August 2009 gewährte die Beklagte dem Kläger für das Quartal I/2009 ein Honorar in Höhe von 53.524,44 €. Der Kläger hatte Leistungen, die für ein Regelleistungsvolumen (RLV) relevant waren, in Höhe von 29.663,98 € abgerechnet. Die Budgetüberschreitung in Höhe von 9.164,89 € wurde mit 1.722,85 € (18,80 %) vergütet. Mit seinem Widerspruch vom 2. September 2009 machte der Kläger geltend, er sei einer von lediglich zwei Chirurgen in S, der auch Leistungen der Gastroskopie nach der Gebührenordnungsposition (GOP) 13400 EBM (Zusatzpauschale Gastro-Duodenoskopie) erbringe. Diese Leistung sei daher fachgruppenuntypisch. Auch die GOP 13421 EBM (Zusatzpauschale Koloskopie) werde lediglich von sechs Ärzten der Fachgruppe abgerechnet. Die starre Grenze von 30 % für die Überschreitung des Fallwertes der Vergleichsgruppe zur Anerkennung einer Praxisbesonderheit sei willkürlich und rechtswidrig. Bei den Chirurgen liege ein erheblicher oder sogar der überwiegende Teil der Leistungen außerhalb des RLV.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2013 wies die Beklagte die Widersprüche hinsichtlich des Quartals I/2009 und der zugleich angefochtenen Quartale II/2009 bis II/2010 zurück. Sie stellte die Rechtslage zu den RLV dar. Bei dem Kläger lieg...