Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Zuschuss für Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes (Badumbau) in Seniorenwohnanlage. keine Befugnis der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Leistungseinschränkung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Maßnahme (hier: Badumbau) betrifft auch dann das individuelle Wohnumfeld iS von § 40 Abs 4 Satz 1 SGB 11, wenn die Wohnung in einer Altenwohnanlage ("Betreutes Wohnen") belegen ist.
2. Die in § 78 Abs 2 SGB 11 geregelte Befugnis der Spitzenverbände der Pflegekassen, das Nähere zur Bemessung der Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes der Pflegebedürftigen nach § 40 Abs 4 SGB 11 zu regeln, berechtigt die Spitzenverbände nicht, Ansprüche der Pflegebedürftigen einzuschränken.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 15. Juli 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines finanziellen Zuschusses für eine Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes der Klägerin (§ 40 Abs. 4 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XI]).
Die … 1932 geborene Klägerin, die bei der Beklagten versichert ist, befand sich nach einer stationären Behandlung vom 8. Februar 2007 bis zum 7. März 2007 in Kurzzeitpflege. Seit dem 1. März 2007 ist sie Mieterin einer Wohnung in dem Haus L. B. in K.. Vermieterin ist die Ka. GmbH & Co. KG, vertreten durch die Kb. m.b.H. . In § 16 des abgeschlossenen Mietvertrages heißt es, dem Mieter sei bekannt, dass er eine Wohnung in einer Altenwohnanlage miete, in der die Arbeiterwohlfahrt (AWO) K. eine Service-Einrichtung betreibe; es handele sich um ein sogenanntes Servicehaus. Diejenigen Mieter, die eine Wohnung in diesem Haus bezögen, seien verpflichtet, die Serviceleistungen der AWO in Anspruch zu nehmen und mit ihr einen Betreuungsvertrag abzuschließen.
Die Klägerin bezieht von der Beklagten Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I. Am 9. Februar 2007 beantragte ihr Sohn für sie die Gewährung eines Zuschusses zum barrierefreien Badumbau als Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes nach § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI. Beigefügt war eine für “diverse Belegenheiten„ erstellte Baubeschreibung der Kb. m.b.H. vom Oktober 2006. Die Umbauarbeiten wurden im Februar 2007 - vor dem Einzug der Klägerin - durchgeführt. Mit Bescheid vom 9. Juli 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2007 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Zuschusses ab. Sie nahm auf die Anmerkung in dem Gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 10. Oktober 2002, zuletzt geändert am 16. November 2004, zu § 40 SGB XI Bezug und führte aus, dass danach Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes in der Wohnung des Pflegebedürftigen oder in dem Haushalt, in dem er aufgenommen worden sei, in Betracht kämen. Entscheidend sei, dass es sich um den auf Dauer angelegten, unmittelbaren Lebensmittelpunkt des Pflegebedürftigen handele. In Alten- und Pflegeheimen sowie in Wohnungseinrichtungen, die vom Vermieter gewerbsmäßig nur an Pflegebedürftige vermietet würden, liege eine Wohnung bzw. ein Haushalt in diesem Sinne nicht vor. Aus § 16 des von der Klägerin abgeschlossenen Mietvertrages gehe hervor, dass es sich vorliegend um eine Wohneinrichtung handele, die vom Vermieter gewerbsmäßig nur an Pflegebedürftige vermietet werde. Eine Bezuschussung könne deshalb nicht erfolgen.
Die Klägerin hat am 31. Oktober 2007 bei dem Sozialgericht Kiel Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt: Die Beklagte habe ihre Eintrittspflicht fehlerhaft verneint und damit ihr Ermessen falsch ausgeübt. Zum einen sei das zitierte Rundschreiben der Spitzenverbände nicht maßgeblich; als gesetzesvertretende allgemeine Richtlinie sei es wegen Verstoßes der von den Spitzenverbänden als Rechtsgrundlage herangezogenen Vorschrift des § 78 Abs. 2 Satz 1 SGB XI gegen Art. 84 Abs. 2 Grundgesetz (GG) nichtig. Zum anderen habe die Beklagte verkannt, dass es sich bei ihrer - der Klägerin - Wohnung um ihren auf Dauer angelegten unmittelbaren Lebensmittelpunkt handele. Unzutreffend sei auch die Annahme, dass ihre Vermieterin die Wohnungen nur an Pflegebedürftige vermiete. Zumeist entschieden sich “junge Alte„ (ab 60 Jahre) für ein Wohnen in dem Gebäudekomplex L. B., um in späteren Jahren einen weiteren Umzug in ein Pflegeheim zu vermeiden. Wohnraumanpassungsmaßnahmen würden dann von dem jeweiligen Mieter in Eigenregie nach Bedarf durchgeführt. Nur bei erheblichen baulichen Veränderungen - wie im vorliegenden Fall - schalte sich die Vermieterin ein und übernehme die Umsetzung der Maßnahme. Die Voraussetzungen von § 40 Abs. 4 SGB XI seien hier erfüllt; bei dem Badumbau handele es sich um eine Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes. Durch die Umbaumaßnahme werde...