Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rücknahme der Leistungsbewilligung wegen Nichtvorlage von Unterlagen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen eines vermeintlichen Partners. Grenzen der Mitwirkung. keine Ermittlungspflicht des Leistungsberechtigten gegenüber Dritten. Grundsicherungsträger hat sich an den vermeintlichen Partner zu halten. Beweislastumkehr. Bedarfsgemeinschaft
Orientierungssatz
1. Grundsätzlich besteht keine Ermittlungspflicht des Leistungsberechtigten gegenüber Dritten. Es besteht damit auch keine Verpflichtung, Beweismittel von einem privaten Dritten zu beschaffen und vorzulegen. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn es der betreffende Dritte ausdrücklich abgelehnt hat, entsprechende Angaben zu machen.
2. Der Grundsicherungsträger ist vielmehr selbst gehalten, sich die von ihm für entscheidungserheblich erachteten Auskünfte zB nach § 60 Abs 4 S 1 SGB 2 unmittelbar von dem Dritten zu beschaffen.
Normenkette
SGB I § 60 Abs. 1, § 65 Abs. 1 Nr. 2; SGB II § 60 Abs. 4 S. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 21. Juli 2010 und der Bescheid des Beklagten vom 27. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2007 aufgehoben.
Der Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten für beide Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2006.
Die 1965 geborene Klägerin beantragte erstmals am 12. Mai 2006 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II für sich und ihren 2002 geborenen Sohn M... In dem Antrag gab sie ihren geschiedenen Ehemann K... H... als Mitmieter der gemeinsam ab 1. März 2005 angemieteten Wohnung in E... an. Arbeitslosengeld hatte die Klägerin bis 30. Juni 2006 in Höhe von täglich 20,23 EUR bezogen. Mit Bescheid vom 14. Juli 2006 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Sohn Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006 in Höhe von 592,23 EUR monatlich. Am 23. August führten Mitarbeiter des Beklagten einen Hausbesuch in der Wohnung der Klägerin durch. Daraufhin ging der Beklagte vom Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann aus und forderte beide mit Schreiben vom 20. September 2006 unter Hinweis auf ihre Mitwirkungspflicht nach §§ 60 ff. des Ersten Sozialgesetzbuches (SGB I) auf, bis zum 26. September 2006 die Verdienstabrechnungen von K... H... von Mai bis August 2006 sowie seine Kontoauszüge der letzten drei Monate einzureichen. Bereits mit Schreiben vom 18. Juni 2006 hatte K... H... dem Beklagten mitgeteilt, dass er mit der Klägerin keine Bedarfsgemeinschaft bilde. Gleichzeitig hatte er Verdienstbescheinigungen der Monate Oktober 2005 bis April 2006 vorgelegt. Nach einem Aktenvermerk des Beklagten vom 27. September 2006 hatte die Klägerin telefonisch mitgeteilt, dass K... H... seine Unterlagen nicht vorlegen wolle, da keine eheähnliche Gemeinschaft zwischen ihnen bestehe. Mit Bescheid vom 27. September 2006 stellte der Beklagte die Leistungen gegenüber der Klägerin ab 1. Oktober 2006 unter Hinweis auf die Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten gemäß §§ 60 ff. SGB I ein. Da die erforderlichen Unterlagen von der Klägerin nicht vorgelegt worden seien, bestünden Zweifel an der Hilfebedürftigkeit. Den Bescheid vom 14. Juli 2006 hob sie insoweit ab 1. Oktober 2006 auf. Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2007 zurück. Die Klägerin habe nicht darlegen können, ob sie hilfebedürftig sei. Es sei davon auszugehen, dass sie mit ihrem geschiedenen Ehemann K... H... in eheähnlicher Gemeinschaft zusammenlebe und damit die Bedarfsgemeinschaft in der Lage sei, den notwendigen Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Einkommen zu bestreiten. Die Einstellung aufgrund fehlender Mitwirkung gemäß §§ 60 ff. SGB I sei nicht möglich gewesen, da es an der erforderlichen Ermessensausübung gefehlt habe. Es komme aber eine Einstellung der Leistung aufgrund des § 45 Abs. 2 des Zehnten Sozialgesetzbuches (SGB X) ab Oktober 2006 in Betracht. Der Bescheid sei auch von Beginn an rechtswidrig gewesen, da bei der Berechnung der zu bewilligenden Leistung davon ausgegangen worden sei, dass lediglich die Klägerin und ihr Sohn M... eine Bedarfsgemeinschaft gebildet hätten. Auf Vertrauen könne sich die Klägerin nicht berufen, weil ihr das Bestehen einer Partnerschaft mit K... H... bekannt gewesen sei. Damit sei der Bewilligungsbescheid ohne Ermessensausübung zurückzunehmen.
Die Klägerin...