Entscheidungsstichwort (Thema)

Langjähriges Rauchen als konkurrierender Faktor bei der Anerkennung eines Lungenkarzinoms als Berufskrankheit nach Nr. 1302 bzw. Nr. 1310 BKV

 

Orientierungssatz

1. Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 BKV (Krebserkrankung durch Halogenwasserstoffe) bzw. nach Nr. 1310 (Krebserkrankung durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide) sind eine entsprechende Latenzzeit, eine Expansionszeit und -höhe sowie das Nichtvorliegen konkurrierender wesentlicher Faktoren. Fehlt es an einem Nachweis für eine erforderliche hohe Exposition, so kann eine Berufskrankheit nicht anerkannt werden.

2. War der Versicherte über einen längeren Zeitraum ein starker Raucher, so gelten hinsichtlich der Kausalität von Tetrachlordibenzodioxin (TCDD) für das berufsbedingte Entstehen eines Lungenkarzinoms erhöhte Anforderungen. Bei einem Nikotinkonsum von täglich 40 Zigaretten über einen Zeitraum von 46 Jahren liegt das Risiko, an einem Bronchialtumor zu erkranken, um das 10- bis 20-fache höher gegenüber einem Nichtraucher.

3. Entsprechend starkes Rauchen stellt eine beachtliche Konkurrenzursache dar, die den Nachweis, dass ein Bronchialkarzinom auf beruflich bedingte Belastungen zurückzuführen sei, ausschließt.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 27.10.2016; Aktenzeichen B 2 U 45/16 B)

BSG (Beschluss vom 04.11.2014; Aktenzeichen B 2 U 144/14 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 27. April 2010 wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Lungenkrebserkrankung ihres ... 1936 geborenen und ... 2004 verstorbenen Ehemannes als Folge einer Berufskrankheit.

Der verstorbene Ehemann der Klägerin (der Versicherte) meldete mit Schreiben vom 4. Dezember 2001 eine Lungenkrebserkrankung und führte diese auf seine Beschäftigung als Chemiewerker bei der Firma B... in der Zeit von Mitte Januar 1967 bis Anfang Februar 1968 zurück. Unter dem 17. Dezember 2001 berichtete Dr. S... für den Kläger Gewichtsreduktionsbeschwerden und ein Plattenepithelkarzinom des rechten Lungenlappens. Unter dem 29. November 2001 berichtete Dr. M... die Erstdiagnose des Plattenepithelkarzinoms des rechten Lungenlappens im November 2001 sowie eine chronisch obstruktive Bronchitis. Der Versicherte leide seit Juni 2001 unter Gewichtsverlust von 20 kg. Zurzeit rauche er noch zwei Zigaretten pro Tag, früher 40 Zigaretten pro Tag über 46 Jahre. Unter dem 14. Januar 2002 teilte die Firma B... mit, dass der Versicherte vom 18. Januar 1967 bis zum 5. Februar 1968 als Chemiearbeiter bei ihr tätig gewesen und Trichlorbenzol ausgesetzt gewesen sei. Im Prüfbericht vom 13. Mai 2002 stellte die ERGO-Forschungsgesellschaft mbH (ERGO) fest, Tetrachlordibenzodioxin (2,3,7,8-TCDD = TCDD -) weise den Toxiditätsfaktor 1 auf und es sei für den Versicherten ein Blutmesswert von 7,8 ppt ermittelt worden. Für Beta-Hexachlorzyklohexan (HCH) sei ein Wert von 5,8 µg/l ermittelt worden. Die staatliche Gesundheitsärztin Dr. Ma... teilte unter dem 17. Juni 2003 mit, dass bei der Bewertung durch die ERGO-Forschungsgesellschaft zwar eine geringfügige Überschreitung bei diesen Stoffen festgestellt worden sei. Die geringfügigen Erhöhungen der verschiedenen Dioxinisomere seien jedoch auf die erhebliche Gewichtsabnahme zurückzuführen, so dass daraus zu schließen sei, dass der Versicherte nicht in hohem Maße gegenüber Dioxinen exponiert gewesen sei. Bei der Lungenkrebserkrankung des Versicherten handele es sich nicht um eine Berufskrankheit der Ziffer 1310 der Berufskrankheitenverordnung (BK 1310), da eine adäquate Exposition nicht nachgewiesen werden könne.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. August 2003 die Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Ziffer 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) bzw. einer BK 1310 (Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide) ab. Dagegen legte der Versicherte am 13. August 2002 Widerspruch ein. Er berief sich auf ein Schreiben von Prof. Dr. Mb... vom 15. Oktober 2002, der ausgehend von 7,8 ng TCDD pro kg Blutfett zurückgerechnet auf das Jahr des Ausscheidens aus dem B...r Betrieb durch den Versicherten zu einem Wert von 213 ng pro kg kommt. Auch HCH sei krebserzeugend und bei Rückrechnung auf das Jahr 1968 ergebe sich eine Belastung, die als toxisch zu bewerten sei. Dr. F... errechnete nach Aufforderung durch die Beklagte unter dem 27. August 2003 bezogen auf den Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus dem Betrieb die TCDD-Exposition mit 67,4 ng/kg.

Mit Bescheid vom 9. Januar 2003 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 4104 (Lungenkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaubdosis von mindestens 25 Faserjahren) ab. Dagegen legte der Versicherte...

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