Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Gleichstellung. Arbeitsplatzgefährdung. Prognose. tarifliche Unkündbarkeit. abstrakte Gefährdung. Kündigungsschutz. Ungünstige Konkurrenzsituation. Umsetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen (§ 2 Abs 3 SGB 9) zum Behalten eines Arbeitsplatzes erfordert eine Prognose, ob durch die Gleichstellung zumindest der Arbeitsplatz sicherer gemacht werden kann. Das ist bei tariflicher Unkündbarkeit nur aus besonderen Gründen der Fall (vgl BSG vom 1.3.2011 - B 7 AL 6/10 R = BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4).
2. Eine abstrakte Gefährdung des Arbeitsplatzes reicht für eine Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB 9 nicht aus.
Normenkette
SGB IX § 2 Abs. 3, § 85
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 19. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gleichstellung des Klägers mit schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Der ...1951 geborene Kläger steht in einem Beschäftigungsverhältnis als Groß- und Außenhandelskaufmann bei der H...-B...AG in Ha... (inzwischen umfirmiert in C... Deutschland Markengesellschaft mbH). Seit dem 1. Oktober 1981 ist er als Gebietsleiter tätig. In seinem Gleichstellungsantrag gab der Kläger an, dass auf sein Arbeitsverhältnis der tarifliche Kündigungsschutz Anwendung findet. Dies entspricht auch den Angaben des Arbeitgebers im Verwaltungsverfahren.
Mit anwaltlichem Schreiben an die Beklagte vom 4. Mai 2006, eingegangen am 8. Mai 2006, ließ der Kläger mitteilen, dass er mit gleicher Post beim Landesamt für soziale Dienste (LAsD) in S... seine Anerkennung als Schwerbehinderter beantragt habe. Da bisher unklar sei, welcher Grad der Behinderung (GdB) bei ihm vorliege, beantrage er zunächst gegenüber der Beklagten seine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen. In dem hierzu am 23. Mai 2006 nachgereichten Formularantrag begründete der Kläger seinen Antrag mit den Auswirkungen eines Bandscheibenvorfalls im Halswirbelbereich, wodurch seine Kopfdrehung stark eingeschränkt sei. Dadurch gebe es insbesondere beim Autofahren (er fahre 50.000 bis 60.000 km im Jahr) starke Einschränkungen. Er könne seine derzeitige Tätigkeit mit behinderungsbedingten Einschränkungen weiterhin ausüben; eine innerbetriebliche Umsetzung wegen der Auswirkungen seiner Behinderungen sei nicht möglich. Sein Arbeitsplatz sei auch aus anderen, nicht behinderungsbedingten Gründen gefährdet, nämlich wegen einer Rationalisierung im Vertrieb nach starken Absatzrückgängen. Mit einer Kündigung habe sein Arbeitgeber noch nicht gedroht. Als sonstige Gründe für die Notwendigkeit der Gleichstellung gab der Kläger die Arbeitsplatzsicherung nach fast 25jähriger Betriebszugehörigkeit an.
Das LAsD stellte mit Bescheid vom 15. September 2006 das Vorliegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 69 SGB IX mit einem GdB von 20 fest und benannte dazu als berücksichtigte Funktionsbeeinträchtigungen
___AMPX_•_SEMIKOLONX___X Funktionsstörung der Wirbelsäule mit Ausstrahlungen
___AMPX_•_SEMIKOLONX___X Kopfschmerzen
___AMPX_•_SEMIKOLONX___X Ohrgeräusche
___AMPX_•_SEMIKOLONX___X Funktionsstörung im Hüftgelenk.
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kläger bei dem Sozialgericht Schleswig Klage zum Az. S 14 SB 126/06. Auf sein im Klageverfahren ergangenes Anerkenntnis erließ das LAsD den Ausführungsbescheid vom 30. November 2007, der das Vorliegen einer Behinderung mit einem GdB von 30 unter Berücksichtigung der bereits benannten Funktionsbeeinträchtigungen feststellte. In dem Bescheid heißt es, die Voraussetzungen dieser Feststellung hätten bereits ab Mai 2006 vorgelegen.
In dem von der Beklagten durchgeführten Gleichstellungsverfahren ging am 7. Dezember 2007 eine Stellungnahme der Personalabteilung der H...-B... AG ein. Darin heißt es, als gesundheitliche Einschränkung des Klägers sei ein Bandscheibenvorfall bekannt. Dadurch werde der Arbeitseinsatz eingeschränkt; es ergäben sich Behinderungen beim Autofahren (der Kläger müsse als Außendienstmitarbeiter viel fahren). Der Arbeitsplatz sei aber zurzeit nicht aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen gefährdet; auch aus sonstigen Gründen sei der Arbeitsplatz nicht gefährdet. Eine Kündigung sei nicht ausgesprochen worden. In einer beigefügten Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung wurde die Frage nach einer Gefährdung des Arbeitsplatzes durch behinderungsbedingte Auswirkungen bejaht und zur Begründung ausgeführt, die Arbeitskraft, -leistung und -qualität würden weniger. Eine Arbeitsplatzgefährdung aus sonstigen Gründen liege nicht vor.
Der Betriebsrat schloss sich der Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung vollinhaltlich an. Am 13. Dezember 2007 hielt ein Mitarbeiter der Beklagten telefonisch Rückfrage unter dem in der Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung...