Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. unangemessene Verfahrensdauer. immaterieller Nachteil. Belastung durch Verfahren nicht ausreichend. hinnehmbare Verfahrensverzögerung bei Überlastung der Gerichte. Beigeladener. Obliegenheit einer aktiven Verfahrensförderung. Zeiten der Beteiligung. Ausschließung eines Richters. Mitwirkung an einem kostenrechtlichen Nebenverfahren. sozialgerichtliches Verfahren
Orientierungssatz
1. Dass ein sozialgerichtliches Verfahren als solches den Verfahrensbeteiligten belastet und zur intensiven Auseinandersetzung mit den sich stellenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen zwingt, liegt in der Natur der Sache und begründet keinen über die bloße Verfahrensdauer hinausgehenden immateriellen Nachteil.
2. Zwar kann sich der Staat zur Rechtfertigung der überlangen Dauer eines Verfahrens nicht auf Umstände innerhalb des staatlichen Verantwortungsbereichs für Gerichte berufen. Dies schließt aber nicht aus, dass angesichts der Überlast der Sozialgerichte bei Verfahren nach dem SGB 2 gewisse Verfahrensverzögerungen hingenommen werden müssen, bevor das Maß der Angemessenheit überschritten wird (hier: Zeiten nicht erkennbarer Verfahrensförderung von insgesamt mehr als 26 Monate in erster Instanz).
3. Macht ein Beteiligter des Ausgangsverfahrens eine unangemessene Verfahrensdauer geltend, kann für seinen Entschädigungsanspruch nur auf die Zeit abgestellt werden, in welcher er tatsächlich am gerichtlichen Ausgangsverfahren beteiligt war (hier ab dem Zeitpunkt der verspäteten Beiladung).
4. Es kann von einem anwaltlich vertretenen Beigeladenen eine aktive Verfahrensförderung erwartet werden (zB nach Erhalt des Beiladungsbeschlusses von sich aus unverzüglich nähere Informationen zum Stand des Verfahrens zu erbitten bzw die Übersendung entsprechender Unterlagen zu beantragen oder sich - ohne ausdrückliche Aufforderung - zur Sache zu äußern).
5. Im Verfahren über eine Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer ist ein Richter nicht gemäß § 202 S 2, § 60 Abs 1 SGG iVm § 41 Nr 7 ZPO ausgeschlossen, wenn er nur an einem kostenrechtlichen Nebenverfahren zum Ausgangsverfahren mitgewirkt hat, auf das der Kläger seinen Entschädigungsanspruch nicht stützt.
Normenkette
GVG § 198 Abs. 5 S. 1, Abs. 3, 1 S. 2, Abs. 2 S. 1, Abs. 4, 6 Nrn. 1-2, § 200 S. 1; SGG §§ 183, 197a, 202; ÜGRG Art. 23 S. 1; ÜGRG Art. 23 S. 5
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer. Es geht um das am 7. April 2005 bei dem Sozialgericht Lübeck von dem Rechtsanwalt B... M... als Kläger in eigener Sache (im Folgenden: Kläger M. bzw. M.) zum Aktenzeichen S 8 KR 133/05 eingeleitete Verfahren gegen die damalige Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein (später: Deutsche Rentenversicherung Nord, im Folgenden einheitlich: die Beklagte), zu dem der Kläger des Entschädigungsverfahrens S. (im Folgenden: Kläger S. bzw. S.) mit Beschluss vom 10. November 2005 beigeladen worden ist. In der Sache ging es um die Anfechtung des Nachforderungsbescheides vom 6. Oktober 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2005, mit dem die Beklagte nach einer am 13. November 2002 durchgeführten Betriebsprüfung Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 14.037,71 EUR von M. nachforderte. 13.195,90 EUR entfielen davon auf eine von der Beklagten für sozialversicherungspflichtig gehaltenen Beschäftigung des S. als Rechtsanwalt bei M. im Zeitraum vom 28. Januar 2002 bis 15. Oktober 2003; nur insoweit wurde der Nachforderungsbescheid von M. angefochten. Streitig war die Frage, ob die Tätigkeit des S. als Mitarbeiter in der Kanzlei des M. sozialversicherungspflichtig war. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Mai 2008 abgewiesen; die dagegen eingelegte Berufung (Az. L 5 KR 76/08) hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 14. Januar 2010 zurückgewiesen. Die von M. erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) ist mit Schriftsatz vom 07.05.2010 - beim BSG am selben Tag per Fax eingegangen - zurückgenommen worden (vgl. Kostenbeschluss vom 12. Mai 2010, B 12 KR 21/10 B).
Ebenfalls mit Bescheid vom 6. Oktober 2004 stellte die Beklagte gegenüber S. fest, dass die in Rede stehende Beschäftigung bei M. versicherungspflichtig war. Diesen Bescheid hat S. - soweit ersichtlich - nicht angefochten.
Das von M. betriebene Ausgangsverfahren gestaltete sich wie folgt:
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07.04.2005 |
Eingang von Klage und Begründung beim Sozialgericht |
25.04.2005 |
Eingang der Gegenerklärung der Beklagten mit Hinweis auf Notwendigkeit der Beiladung u.a. von S. |
23.06.2005 |
Vorlage eines Schreibens des S. durch die Beklagte |
10.11.2005 |
Beiladung des S., Wiedervorlagefrist: 3 Monate |
28.02.2006 |
Wiedervorlagefrist: 3 Monate |
22.06.20... |