Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzgeldanspruch. kein Anspruchsausschluss. Abschluss des Arbeitsvertrags nach Insolvenzantragstellung. keine Anfechtung durch Insolvenzverwalter. Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags. Sittenwidrigkeit. Belastung des Sozialversicherungsträgers. Arbeitnehmer in Schlüsselposition. Unkenntnis über Insolvenzereignis

 

Orientierungssatz

1. Ist ein Insolvenzverfahren tatsächlich eröffnet, so besteht ein Anspruchsausschluss gem § 166 Abs 1 Nr 2 SGB 3 nur bei tatsächlicher Anfechtung des Rechtsgeschäfts gem § 132 InsO.

2. Ein Rechtsgeschäft kann aber dann gem § 138 BGB unwirksam werden, wenn den Beteiligten bei Abschluss bewusst ist, dass eine vereinbarte Leistung nicht durch den Schuldner finanziert werden kann, und deshalb ein Sozialleistungsträger wirtschaftlich mit den entsprechenden Kosten belastet wird.

3. Die Einstellung eines Arbeitnehmers im vorläufigen Insolvenzverfahren oder nach Eröffnungsantrag ist nicht per se sittenwidrig und damit unwirksam.

3. Es besteht keine rechtliche Grundlage, Insolvenzgeldansprüche bei Arbeitnehmern, die während des vorläufigen Insolvenzverfahrens eingestellt werden, nur dann anzunehmen, wenn diese im Betrieb eine Schlüsselposition einnehmen oder in analoger Anwendung des § 165 Abs 3 SGB 3, wenn diese von dem Insolvenzverfahren keine Kenntnis haben.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 17.11.2022; Aktenzeichen B 11 AL 24/22 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 19. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Klägers auf Insolvenzgeld für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2014. Strittig ist dabei vor allem die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers bzw. ob der zwischen ihm und dem insolvenzbedrohten Betrieb abgeschlossene Arbeitsvertrag wirksam ist.

Der 1979 geborene Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum selbstständig als Unternehmensberater tätig und hat sich dabei auf „Turnaround - Management“ spezialisiert. Darunter werden Maßnahmen zur Abwendung einer Insolvenz in insolvenzbedrohten Betrieben verstanden.

Der Kläger hat in den Jahren 2013 und 2014 mit den insolvenzbedrohten Betrieben P und O bereits Anstellungsverträge als Arbeitnehmer geschlossen und im Fall der P und der Firma O über die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld auch Insolvenzgeld erhalten. Im Fall der n wurde die Gewährung von Insolvenzgeld abgelehnt.

Der Kläger schloss mit auf den 14. September 2014 datiertem Vertrag mit der Firma H Konditorei und Bäckerei einen Anstellungsvertrag für leitende Angestellte. Darin wird er als Angestellter im Bereich Marketing und Vertrieb bezeichnet und ein Monatsgehalt in Höhe von 3.500,- € brutto vereinbart. Arbeitsbeginn sollte der 1. Oktober 2014 sein.

Bereits am 28. April 2014 hatte die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn See die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers beantragt. Am 26. September 2014 beauftragte das Amtsgericht Pinneberg als Insolvenzgericht den späteren Insolvenzverwalter Rechtsanwalt Dr. B mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Vorlage von Tatsachen, die den Schluss auf Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung rechtfertigen und zum Vorhandensein einer kostendeckenden Masse.

In seinem Zwischenbericht von 10. Oktober 2014 stellte Dr. B Aktiva in Form von liquiden Mittel in Höhe von etwa 1500,- €, eines Kraftfahrzeuges vom Typ Ford Transit - Baujahr 2007 - und eines Kassenbestandes in Höhe von etwa 100,- € fest, die Verbindlichkeiten in Höhe von etwa 80.000 € gegenüber 32 Gläubigern gegenüberstanden. Mit Beschluss vom 13. Oktober 2014 wurde Dr. B. als vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt und nachdem dieser in einem weiteren Gutachten die Zahlungsunfähigkeit des Betriebes festgestellt hatte mit Beschluss vom 1. Januar 2014 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet.

Den Arbeitsvertrag des Klägers hat dieser mit Wirkung zum 31. Dezember 2014 gekündigt. Ab 14. Dezember 2014 war der Kläger zusätzlich bei der Firma S in B beschäftigt. Über das Vermögen dieser Firma ist im Februar 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Kläger beantragte später auch dort die Gewährung von Insolvenzgeld.

Mit Antrag vom 15. Januar 2015 beantragte der Kläger im hiesigen Verfahren gegenüber der Beklagten die Gewährung von Insolvenzgeld und gab dabei an, ab Oktober 2014 kein Arbeitsentgelt erhalten zu haben.

Die Beklagte befragte den Arbeitgeber im Antragsverfahren schriftlich zu den Umständen des Vertragsschlusses. Dieser gab mit am 25. März 2015 verfassten Schreiben an, er habe die drohende Zahlungsunfähigkeit am 14. September 2014 nicht gekannt. Das Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 3.500,- € hätte er aus den vorhandenen Umsätzen aufbringen können. Er sei auch nicht über einen Gläubigerantrag auf Insolvenzeröffnung informiert gewesen. Dass sich die Situation so entwickle wie geschehen...

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