Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander. Anspruch des nachrangig verpflichteten Grundsicherungsträgers gegen den Rentenversicherungsträger aufgrund der Bewilligung einer Witwenrente. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. zweckbestimmte Einnahme. ausdrücklich genannter Zweck

 

Orientierungssatz

Bei der erhöhten Witwenrente im sogenannten Sterbevierteljahr handelt es sich nicht um eine nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbrachte Leistung im Sinne des § 11a Abs 3 S 1 SGB 2.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 21. August 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 563,16 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Erstattungsanspruch, den der Kläger als Grundsicherungsträger nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) gegenüber der Beklagten in Hinblick auf die Leistungen an die Beigeladene nach dem SGB II und die rückwirkende Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres am 9. April 2012 verstorbenen Ehemanns durch die Beklagte geltend gemacht hat.

Gestritten wird dabei über einen Erstattungsanspruch für die Monate Mai 2012 und Juni 2012, in denen der Kläger der Beigeladenen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 642,92 EUR monatlich zuzüglich Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen erbrachte. Die Beklagte gewährte der Beigeladenen mit Bescheid vom 23. Mai 2012 große Witwenrente ab dem Todestag des Versicherten. Die laufende Zahlung in Höhe von 361,34 EUR an die Beigeladene nahm sie zum 1. August 2012 auf. Den Nachzahlungsbetrag für den Zeitraum vom 9. April 2012 bis 31. Juli 2012 bezifferte sie auf 2.414,28 EUR, wobei auf die Monate Mai und Juni 2012 insgesamt 1.285,84 EUR entfielen.

Die Beklagte war indessen nur bereit, eine Erstattung in Höhe der ab 1. August 2012 unter Berücksichtigung eines Rentenartfaktors von 0,55 zustehenden Rente von 361,34 EUR monatlich zuzüglich der geleisteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu zahlen. Hinsichtlich der darüber hinausgehenden Rentenansprüche für die Monate Mai und Juni 2012, die aus der Gewährung von Witwenrenten mit einem Rentenartfaktor von 1,0 im so genannten Sterbevierteljahr und der fehlenden Einkommensanrechnung in diesem Zeitraum resultieren, sah die Beklagte die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 104 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) nicht als gegeben an. Die Leistungspflicht des Klägers sei insoweit nicht entfallen. Der Bonus für das Sterbevierteljahr sei auf die Leistungen nach dem SGB II nicht anrechenbar. Die Beklagte geht davon aus, dass die über die “Normalrente„ hinausgehenden Rentenansprüche im Sterbevierteljahr zweckbestimmte Leistungen im Sinne des § 11a Abs. 3 SGB II sind, die nicht demselben Zweck wie die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II dienen und deshalb dort nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind. Die Beklagte kehrte die über 361,34 € hinausgehenden monatlichen Rentenansprüche für die Monate Mai und Juni 2012 nach Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch den Kläger an die Beigeladene aus.

Demgegenüber ist der Kläger der Auffassung, dass jedenfalls nach Änderung der Einkommensanrechnungsregelungen im SGB II zum 1. April 2011 auch die höhere Hinterbliebenenrente im Sterbevierteljahr als Einkommen auf Leistungen nach dem SGB II anrechenbar ist.

Mit der am 16. September 2013 bei dem Sozialgericht Schleswig erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt.

Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 563,16 EUR zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 3. August 2015 hat das Sozialgericht die Leistungsempfängerin, Frau N…, zum Rechtsstreit beigeladen.

Mit Urteil vom 21. August 2015 hat das Sozialgericht unter Zulassung der Berufung die Beklagte verurteilt, an den Kläger 563,16 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da öffentlich-rechtliche Streitigkeiten im Gleichordnungsverhältnis im Streit ständen. Sie sei auch begründet.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Erstattungsanspruchs sei die die Erstattungsansprüche nachrangig verpflichteter Leistungsträger regelnde Vorschrift des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Der Kläger sei als Grundsicherungsträger gegenüber der Beklagten auch ein strukturell nachrangig verpflichteter Leistungsträger. Die danach erforderliche sachliche Kongruenz sei gegeben, denn der Leistungsanspruch der Beigeladenen auf den Sterbevierteljahresbonus im streitigen Zeitraum von Mai bis Juni 2012 habe für denselben Zeitraum bestanden, in dem der Kläger der Beigeladenen Leistungen nach dem SGB II erbracht habe. Die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X hätten demgegenüber nicht vorge...

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