Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Berufungsrücknahmefiktion. Ausschlussfrist des § 156 Abs 2 S 1 SGG. keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. höhere Gewalt
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 156 Abs 2 S 1 SGG gilt die Berufung als zurückgenommen, wenn das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate ab Zustellung der Verfügung nicht betrieben wird. Diese Ausschlussfrist schließt grundsätzlich eine Wiedereinsetzung nach § 67 Abs 1 SGG aus.
2. Selbst wenn man bei der Ausschlussfrist des § 156 Abs 2 S 1 SGG eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Fällen höherer Gewalt in Betracht zieht, liegt kein Fall höherer Gewalt bei Erkrankung des Klägers vor, wenn es diesem gleichwohl weiterhin möglich ist, rechtliche und medizinische Betätigungen vorzunehmen.
Nachgehend
Tenor
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zum Zweck der Fortführung des Berufungsverfahrens zum Aktenzeichen L 8 U 10/18 wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander notwendige außergerichtliche Kosten dieses Verfahrens nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, um dadurch das Wiederaufgreifen eines durch eine Rücknahmefiktion beendeten Berufungsverfahrens zu erwirken.
Der 1961 geborene Kläger erlitt bei seiner Tätigkeit als selbstständiger Dachrinnenreiniger einen Unfall, als er am … 2007 vom Dach stürzte und sich ein Polytrauma zuzog. Mit Bescheid vom 5. Mai 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2013 erkannte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom … 2007 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 65 v. H. ab dem 1. Juni 2008 zu. Im Rahmen des dagegen geführten Rechtsstreits vor dem Sozialgericht Lübeck (AZ: S 34 U 21/13) begehrte der Kläger eine Verletztenrente aufgrund einer höheren MdE als der ihm von der Beklagten zuerkannten sowie Zinsen seit Fälligkeit. Jene Klage wies das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 8. Januar 2018 ab. Gegen den ihm am 12. Januar 2018 zugestellten Gerichtsbescheid legte der Kläger am 12. Februar 2018 Berufung ein. Er kündigte an, die Berufungsbegründung inklusive ärztlicher Stellungnahme werde er nachreichen.
Nachdem der Kläger weder auf die gerichtliche Anforderung einer Berufungsbegründung binnen acht Wochen nach Erhalt der Berufungseingangsbestätigung vom 26. Februar 2018 noch auf die Übersendung eines Schriftsatzes vom 7. März 2018 und auch nicht auf das gerichtliche Erinnerungsschreiben vom 22. August 2018 reagiert hatte, forderte die Vorsitzende – zugleich Berichterstatterin in jenem Verfahren – den Kläger mit Schreiben vom 22. November 2018 letztmalig auf, die angekündigte Berufungsbegründung vorzulegen. In jener Aufforderung wurde auf die Rechtsfolgen aus § 156 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen, wonach die Berufung als zurückgenommen gilt, wenn der Berufungskläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt.
Nachdem bis zum 28. Februar 2019 wiederum keine Reaktion seitens des Klägers erfolgt war, stellte die Vorsitzende durch Beschluss vom selben Tage fest, dass die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 8. Januar 2018 als zurückgenommen gelte.
Gegen jenen ihm am 2. März 2019 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 9. April 2019 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht „bzgl. der bislang nicht begründeten Berufung“ Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung macht er geltend, abgesehen davon, dass es ihm aufgrund seines Gesundheitszustandes grundsätzlich schwerfalle, auch eine relativ lange Frist von drei Monaten einzuhalten, sei er nicht nur zeitlich, sondern auch psychisch durch die auf den 12. März 2019 terminiert gewesene Zwangsversteigerung seiner Immobilie (und damit drohender Obdachlosigkeit) so schwer belastet gewesen, dass er sich mit der zur Verfügung stehenden (im Verhältnis zu einem Gesunden deutlich reduzierten) Kraft ausschließlich auf deren Verhinderung durch ständige Kontakte und daraus resultierende Tätigkeiten mit dem ihn vertretenden Rechtsanwalt und dem ihn behandelnden Facharzt für Psychiatrie konzentriert gehabt habe. Insoweit verweist der Kläger auf das zur Akte gereichte nervenärztliche Attest des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Dr. T…, vom 27. März 2019. Weiter führt er an, erst seit der Aufhebung des Termins zur Zwangsversteigerung durch Beschluss des Amtsgerichts R… zum Aktenzeichen … vom 12. März 2019, ihm zugestellt am 13. März 2019, sei er wieder in der Lage, sich – wenn auch nur im krankheitsbedingten beschränkten Maße – um andere Angelegenheiten zu kümmern.
Sodann begründet der Kläger seine Berufung inhaltlich und legt ausführlich dar, unter welchen Aspekten seines Erachtens die seinerzeit erfolgte HNO-Untersuchung, die Untersuchungen auf urologischem...