Entscheidungsstichwort (Thema)

Glaubhaftmachung des vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs zur Bewilligung von Opferentschädigung

 

Orientierungssatz

1. Anspruch auf Opferentschädigung nach § 1 Abs. 1 OEG i. V. m. den Vorschriften des BVG hat u. a., wer infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.

2. Erforderlich ist insoweit zumindest die hinreichende Glaubhaftmachung eines solchen Angriffs.

3. § 15 KOV-VfG verlangt als Mittel der Glaubhaftmachung Angaben des Geschädigten. Wird das für eine Glaubhaftmachung nach § 15 S. 1 KOV-VfG erforderliche Ausmaß der relativen Wahrscheinlichkeit mangels konsistenter und detaillierter Angaben des Antragstellers nicht erreicht, so ist der Antrag auf Opferentschädigung zurückzuweisen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 30.04.2018; Aktenzeichen B 9 V 56/17 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Itzehoe vom 18. August 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die 1996 geborene Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) unter Anerkennung von Schädigungsfolgen für in ihrer Kindheit durch den leiblichen Vater und einen Halbbruder erlittenen sexuellen Missbrauch und Misshandlungen.

Mit am 20. April 2006 bei dem Beklagten eingegangenen Antrag stellte die Stadt Neumünster, die seinerzeit das Sorgerecht für die Klägerin innehatte, für diese und ihren 2 Jahre älteren leiblichen Bruder einen Antrag nach dem OEG. Der Antrag wurde mit dem Verdacht auf sexuellen Missbrauch durch den Halbbruder M... sowie den leiblichen Vater begründet.

Zur Aufklärung des Sachverhalts zog der Beklagte medizinische Unterlagen über die Klägerin bei, unter anderem Behandlungsberichte aus dem Kinderzentrum P... sowie ein Gutachten des MDK zur Pflegebedürftigkeit vom 3. Dezember 2005. Ferner zog der Beklagte Unterlagen aus der gerichtlichen Sorgerechtsangelegenheit sowie Unterlagen des Deutschen Kinderschutzbundes über einen begleiteten Umgang der Klägerin und ihres Bruders mit dem Kindsvater bei. In diesen Berichten wird über sexuell übergriffiges Verhalten des 1990 geborenen M... gegenüber seinen beiden Halbgeschwistern in der damals noch gemeinsamen elterlichen Wohnung berichtet. So soll sich M... auf die Klägerin gelegt, sich aggressiv an ihr gerieben und dabei koitale Bewegungen ausgeführt haben. Ferner soll er seinen Stiefbruder gezwungen haben, sein Glied anzufassen. In den Berichten über den begleiteten Umgang schildert die begleitende Diplom-Pädagogin K... ein gleichgültiges, ambivalentes bis aggressives Verhalten des Kindsvaters gegenüber seinen Kindern und ängstlich unsicheres Verhalten der Klägerin. Im Bericht vom 10. Juni 2004 gelangte sie zu der Einschätzung, die Kinder seien jahrelang missbraucht, misshandelt und vernachlässigt worden.

In einem Bericht vom 7. Dezember 2006 berichtete Frau K... ausgiebig über die zwischen 6. Juni 2002 und 27. November 2006 bei der Klägerin durchgeführte Kindertherapie und dabei aufgetretene Auffälligkeiten, die auf einen stattgehabten sexuellen Missbrauch hindeuteten.

So habe die Klägerin die Therapeutin gebeten bei einem Toilettenbesuch als Schutz vor der Tür zu stehen. Dies zeige, wie angstbesetzt die Situation (heruntergezogene Hose) für sie sei. In Spielsituationen sei ein ablehnendes Verhalten gegenüber dem Vater und dem Halbbruder deutlich geworden. In einer anderen Spielsituation habe sie anatomische Puppen ausgezogen, und dem Mann und dem Jungen jeweils die Zunge herausgestreckt, dabei auf den Penis des Mannes gezeigt und gesagt: „Das ist eklig„.

Die Pflegemutter, Frau N..., habe in einem Telefonat vom August 2004 berichtet, die Klägerin habe in der Badewanne ihre Badepuppe ganz nackt ausgezogen, sich auf die Puppe gesetzt und zwischen ihren Beinen hin und her bewegt. Auf die Frage, woher sie dieses Spiel kenne, habe sie geäußert: „Das hat Papa mit uns gespielt„.

In einem weiteren Telefonat vom September 2004 habe die Pflegemutter berichtet, die Klägerin habe geäußert, dass ihre leibliche Mutter sie geschlagen habe. Ferner habe die Pflegemutter in Telefonaten berichtet, die Klägerin sei beim Spielen und Toben mit dem Pflegevater plötzlich in einen hasserfüllten Zustand verfallen. Sie habe insoweit eine Verwechslung mit dem Kindsvater vermutet.

In einem Telefonat von November 2004 habe die Pflegemutter geäußert, die Klägerin habe Gewalterfahrungen mit dem Kindsvater nachgespielt. Dabei habe sie nackt auf einem Stuhl gefesselt gesessen und sei vom Kindsvater ins Gesicht geschlagen worden.

In einem Telefonat vom November 2006 habe die Pflegemutter berichtet, auf die Nachricht vom Tod ihres leiblichen Vaters habe die Klägerin geäußert: „Endlich ist das Schwein tot.„

Die behandelnde Kieferorthopädin habe festgestellt, dass die Kiefergele...

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