Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. unangemessene Unterkunftskosten. Kostensenkungsaufforderung Jahre vor Erstellung eines schlüssigen Konzepts durch den Grundsicherungsträger. kein Beginn der sechsmonatigen Übergangsfrist wegen Unwirksamkeit der Kostensenkungsaufforderung. Unschlüssigkeit des Konzepts wegen Einbeziehung von Zimmern in Wohngemeinschaften in die Datenerhebung und -auswertung. Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Kostensenkungsaufforderung, die Jahre vor Erarbeitung eines Unterkunftskostenkonzepts an einen Hilfeempfänger gerichtet wird, ist nicht geeignet, in Hinblick auf dieses Konzept eine 6-monatige Regelhöchstfrist in Gang zu setzen (Anschluss an BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 11/18 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 100).
2. Eine Mietmarkterhebung, die die angemessenen Kosten für einen 1-Personenhaushalt auch aus angebotenen WG-Zimmern herleitet, erfüllt nicht die Voraussetzungen an ein schlüssiges Konzept.
Tenor
Auf die Berufungen des Klägers werden die Urteile des Sozialgerichts Schleswig vom 15. Juni 2017 abgeändert.
Der Beklagte wird unter Abänderung des endgültigen Festsetzungsbescheides vom 20. Oktober 2011 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15. November 2011 und 25. Juni 2015 sowie unter Abänderung des endgültigen Festsetzungsbescheides vom 20. Juni 2012 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum 1. August bis 31. Dezember 2011 sowie 1. Februar 2012 bis 31. März 2012 bruttokalte Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe zu gewähren.
Die Berufungen des Beklagten werden zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Leistungsansprüche des Klägers auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II). Strittig ist vorliegend die Höhe des Anspruchs des Klägers auf Leistungen für die Unterkunft gemäß § 22 SGB II in den Monaten August 2011 bis März 2012.
Der am ... 1966 geborene Kläger steht seit Anfang 2005 im Leistungsbezug nach dem SGB II bei dem Beklagten. Er bewohnt in F... eine 53,63 m² große Zweizimmerwohnung, für die im streitgegenständlichen Zeitraum eine Nettokaltmiete in Höhe von 250,- EUR zzgl. 82,- EUR Betriebskostenvorauszahlung sowie eine Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 27,- EUR monatlich zu entrichten war. Die bruttokalten Unterkunftskosten des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum betrugen demnach 332,- EUR monatlich.
Bereits mit Schreiben vom 1. März 2005 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass die tatsächlichen Unterkunftskosten nur noch bis 30. September 2005 berücksichtigt werden könnten. Danach seien diese auf das angemessene Ausmaß zu reduzieren. Dieses bestimme sich aus der analogen Anwendung der Wohngeldtabelle zu § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) damaliger Fassung. Angemessen sei ein Betrag von 245,00 EUR monatlich bruttokalt.
Den Leistungsanspruch des Klägers im Zeitraum April bis September 2011 regelte der Beklagte vorläufig mit Bescheid vom 10. März 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2011 und berücksichtigte dabei eine Bruttokaltmiete in Höhe von 270,00 EUR monatlich.
Am 22. Juli 2011 hat der Kläger gegen diese Entscheidung Klage beim Sozialgericht Schleswig erhoben. Diese Klage wurde ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 9 AS 759/11 geführt.
Am 20. Oktober 2011 erfolgte die endgültige Leistungsfestsetzung für den oben genannten Zeitraum. Der Beklagte berücksichtigte dabei für die Zeit bis einschließlich 31. Juli 2011 wiederum eine Bruttokaltmiete in Höhe von 270,00 EUR zuzüglich Heizkosten und für den Zeitraum ab 1. August 2011 bis 30. September 2011 eine Bruttokaltmiete in Höhe von 301,00 EUR.
Auch gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch mit dem Ziel, seine tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 359,00 EUR zu erhalten.
Der Beklagte erließ am 15. November 2011 einen Änderungsbescheid, mit dem für den Zeitraum von April 2011 bis Juli 2011 eine Bruttokaltmiete in Höhe von 291,00 EUR zuzüglich Heizkosten berücksichtigt wurden. Soweit der Widerspruch über diese Abänderung hinausging, hat der Beklagte ihn mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2011 zurückgewiesen.
Im Klageverfahren S 9 AS 759/11 hat das Sozialgericht Schleswig am 9. August 2013 gemeinsam mit weiteren Verfahren des Klägers einen Erörterungstermin durchgeführt. Dabei ist das Verfahren in Einverständnis beider Beteiligter ruhend gestellt worden.
Nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 25. Juni 2015 dem Klagebegehren für den Zeitraum vom 1. April bis 31. Juli 2011 entsprochen hatte und in diesem Zeitraum die tatsächlichen Unterkunftskosten in Höhe von 332,00 EUR bruttokalt zzgl. 27,00 EUR Heizkosten der Leistungsgewährung zugrunde gelegt hatte, hat der Kläger das Verfahren mit Schriftsatz vom 9. August 2015 wiederaufgenommen und die Übernahme seiner tatsächlichen...