Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherung. Hinterbliebenenrente. Ausschluß. Versorgungsehe. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. § 594 RVO verstößt nicht gegen GG Art 6 Abs 1 (vgl BSG vom 28.3.1973 - 5 RKnU 11/71 = BSGE 35, 272).
2. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe ist nur dann widerlegt, wenn die Abwägung aller zur Eheschließung führenden Motive beider Ehegatten ergibt, daß es insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Lassen die besonderen Umstände des Einzelfalles nicht ausreichend erkennen, daß keine Versorgungsehe vorgelegen hat, trägt die Witwe die objektive Beweislast.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Klägerin ist die Witwe des am 7. Dezember 1930 geborenen Versicherten E S. Nachdem bei diesem -- nach beruflicher Asbeststaubexposition -- ab Anfang 1991 eine zunehmende Belastungsluftnot und eine Einschränkung der allgemeinen Belastbarkeit zu beobachten waren, war der Versicherte ab 14. Oktober 1991 arbeitsunfähig krank. Nach stationärer Behandlung vom 28. Oktober bis 13. November 1991 diagnostizierte Dr. G eine Pleuraasbestose und erstattete eine Berufskrankheitenanzeige. Wiedervorstellungen des Versicherten bei Dr. G. erfolgten am 10. Dezember 1991, 28. Januar 1992 und 2. April 1992. Unter dem 7. April 1992 berichtete Dr. G über eine deutliche Zunahme im Röntgenbefund. Auf Grund des klinischen und radiologischen Verlaufes bestünden keine Zweifel am Vorliegen eines malignen Pleuramesothelioms. In seinem Gutachten vom 22. Juli 1992 bejahte Dr. G eine Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung -- BeKV -- und schätzte die dadurch bedingte MdE mit 100% ein. Es handle sich um ein inkurables Tumorleiden, bei dem mit weiterer Progression gerechnet werden müsse. Daraufhin teilte die Beklagte dem Versicherten unter dem 28. August 1992 mit, es sei beabsichtigt, ihm Verletztenrente wegen Berufskrankheit zu zahlen. Sie forderte ihn auf, die beigefügten Vordrucke auszufüllen. -- Die Landesversicherungsanstalt hatte dem Versicherten bereits mit Bescheid vom 21. Juli 1992 ab 1. November 1991 unbefristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt.
Die Klägerin, die den Beruf einer Arzthelferin erlernt hat, war bereits seit Jahren mit dem Versicherten befreundet. Seit Beginn seiner Erkrankung lebte sie in seinem Haushalt und betreute ihn. Am 25. August 1992 heiratete der Versicherte die Klägerin. Die häusliche Hochzeit wurde zusammen mit Verwandten und Bekannten gefeiert. Ab 7. September 1992 war der Versicherte durch seine Krankheit so geschwächt, daß er ständig bettlägerig war und eines Sauerstoffgerätes bedurfte. Am 10. September 1992 verstarb der Versicherte an den Folgen der Berufskrankheit.
Durch Bescheid vom 10. Februar 1993 und Widerspruchsbescheid vom 22. April 1993 lehnte die Beklagte ab, der Klägerin Witwenrente nach dem verstorbenen Versicherten zu gewähren: Die gesetzliche Vermutung des § 594 RVO, nach der bei einer Heirat nach einem Arbeitsunfall bzw. Eintritt einer Berufskrankheit die Ehe als Versorgungsehe anzusehen sei, wenn der Versicherte innerhalb eines Jahres nach der Heirat versterbe, sei nicht widerlegt. Bei einer derartigen Versorgungsehe sei die Gewährung einer Witwenrente gesetzlich ausgeschlossen.
Mit ihrer hiergegen am 25. Mai 1993 beim Sozialgericht Lübeck erhobenen Klage hat die Klägerin u.a. geltend gemacht, der Versicherte habe sie schon seit Jahren zur Eheschließung gedrängt. Damals sei er noch kerngesund und von einer Krankheit weit entfernt gewesen. Er habe das Gutachten des Dr. G nicht gekannt und immer geglaubt, wieder auf die Beine zu kommen. Mit der Heirat habe der Versicherte auch die Pflege durch die Klägerin absichern wollen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. April 1993 aufzuheben und sie zu verurteilen, der Klägerin eine Witwenrente nach ihrem am 10. September 1992 verstorbenen Ehemann zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf die angefochtenen Bescheide bezogen.
Mit Urteil vom 11. August 1994 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Pflege des Versicherten sei neben der vom Gesetz unterstellten Versorgungsabsicht kein entscheidender Grund für die Heirat gewesen. Die Klägerin sei bereits 1991 zu dem Versicherten gezogen, der damals noch nicht pflegebedürftig gewesen sei. Dieser Zustand sei vielmehr erst im September 1992 eingetreten. Als Arzthelferin habe die Klägerin den Zustand des Versicherten richtig einschätzen und sich bei der Heirat über dessen Lebenserwartung klare Vorstellungen machen können.
Gegen dieses ihrem Prozeßbevollmächtigten am 19. Oktober 1994 zugestellte Urteil richtet sich die am 18. November 1994 eingelegte Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie u.a...