Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe des Arbeitslosengeldes. Erweiterung des Bemessungsrahmens. unbillige Härte. Lohnverzicht wegen Arbeitsplatzsicherung. Gehaltsunterschied
Orientierungssatz
1. Eine unbillige Härte iS von § 130 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 3 liegt nicht nur dann vor, wenn der Unterschied zwischen dem Bemessungsentgelt im Regelbemessungszeitraum und dem Bemessungsentgelt im erweiterten Bemessungszeitraum mehr als 10%, wie die Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit es vorsieht, beträgt.
2. Als untere Grenze für die Annahme einer unbilligen Härte kann eine Differenz von 5% angesehen werden.
3. Liegt die Differenz zwischen 5% und 10% ist zu prüfen, ob eine unbillige Härte sich aus den Umständen des Einzelfalles ergibt. Berücksichtigungsfähig sind hierbei die Auswirkungen eines niedrigen Bemessungsentgelts auf den Lebensstandard des Arbeitslosen und die Gründe, die zur Einkommensminderung geführt haben.
4. Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundessozialgerichts: Nachdem die Klage vor dem BSG zurückgenommen wurde, ist dieses Urteil sowie das vorinstanzliche Urteil des SG Lübeck wirkungslos.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 17. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) nach einem höheren Bemessungsentgelt.
Der ... 1946 geborene Kläger stand in der Zeit vom 1. Oktober 1987 bis zum 30. September 2005 in einem Arbeitsverhältnis bei der L. GmbH als Schlosser. Das Arbeitsverhältnis endete zum 30. September 2005 durch Kündigung des Arbeitgebers wegen Einstellung der Produktion. Im Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis zum 30. November 2005 erhielt der Kläger Krankengeld.
Am 1. Dezember 2005 beantragte er die Bewilligung von Alg. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung erhielt der Kläger in der Zeit vom 1. Dezember 2004 bis zum 30. September 2005 ein Entgelt von insgesamt 16.668,67 EUR.
Mit Bescheid vom 20. Dezember 2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg ab 1. Dezember 2005 für die Dauer von 960 Kalendertagen nach einem Bemessungsentgelt von täglich 64,86 EUR. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 9. Januar 2006 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er vortrug, es sei unbillig hart, für die Berechnung des Alg seinen Verdienst aus dem Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis zum 30. September 2005 heranzuziehen. In diesem Zeitraum sei er zweimal krank und einmal zur Kur gewesen. Er habe ab 1. Oktober 2004 auf 7 % seines Lohnes verzichten müssen in der Hoffnung, dass die Produktion weitergeführt werde und die Arbeitsplätze erhalten bleiben würden. Auch habe er aus dem gleichen Grund auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichtet. Seinem Widerspruch legte er einen Aushang der Geschäftsleitung seines ehemaligen Arbeitgebers über die in der Betriebsversammlung vom 21. September 2004 vereinbarten Lohn- und Gehaltskürzungen vor. Mit Bescheiden vom 15. und 16. Februar 2006 änderte die Beklagte ihren Bescheid vom 20. Dezember 2006 insofern, als sie das Alg ab 1. Dezember 2005 nach einem Bemessungsentgelt von täglich 69,45 EUR bewilligte. Mit Bescheid vom 15. Februar 2006 bewilligte sie dem Kläger unter Abänderung der vorgenannten Bescheide Alg ab 1. Dezember 2006 nach einem Bemessungsentgelt von täglich 69,74 EUR. Im Übrigen wies sie den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2006 zurück. Sie führte zur Begründung aus, dass der Bemessungszeitraum gemäß § 130 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III) die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgelt-Abrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Bemessungsrahmen umfasse. Der Bemessungsrahmen umfasse ein Jahr. Er ende mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs. Der Bemessungszeitraum umfasse hier die Entgeltzeiträume vom 1. Dezember 2004 bis zum 30. November 2005. Hieraus ergebe sich ein durchschnittliches tägliches Bemessungsentgelt von 69,74 EUR. Es liege auch kein Sonderfall der unbilligen Härte im Sinne des § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III vor, der eine andere Bemessung ermöglichen würde. Zwar ergebe sich bei Erweiterung der Rahmenfrist auf zwei Jahre ein höheres Bemessungsentgelt. Dieses betrage jedoch nur 73,82 EUR täglich und sei damit nicht um mindestens 10 % höher als das bewilligte Bemessungsentgelt in Höhe von 69,74 EUR. Eine unbillige Härte liege erst vor, wenn das Bemessungsentgelt aus dem erweiterten Bemessungsrahmen das um 10 % erhöhte Bemessungsentgelt (aus dem Bemessungsrahmen gemäß § 130 Abs. 1 SGB III) übersteige. Dies betrage 76,71 EUR.
Hiergegen hat der Kläger am 28. März 2006 vor dem Sozialgericht Lübeck Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass sich aus dem Gesetz das von der Beklagten praktizierte starre Abstellen auf eine 10 %-Grenze nicht ergebe. Neben dem Gesichtspunkt der Höhe der ...