Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Altenpflegerin. Tätigkeit als Honorarpflegekraft für ambulanten Pflegedienst. statusrechtliche Abwägungsentscheidung. selbstständige Tätigkeit nur im Ausnahmefall. Übertragbarkeit der für den stationären Pflegesektor aufgestellten Grundsätze

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ambulante Pflegedienste unterliegen engmaschigen regulatorischen Vorgaben, die aus dem gesetzlichen Versorgungsauftrag (§ 69 SGB XI), den Anforderungen für die Anerkennung als zur Wahrnehmung der Pflegeverantwortung im Sinne des § 71 Abs 1 SGB XI befugten verantwortlichen Pflegefachkraft (§ 71 Abs 3 SGB XI), den Voraussetzungen für den Abschluss eines Versorgungsvertrages (§ 72 Abs 3 SGB XI) und den Maßstäben und Grundsätzen zur Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität (§ 113 f SGB XI) resultieren.

2. Aus diesen regulatorischen Vorgaben folgt in der Regel die Eingliederung von Honorar-Pflegefachkräften in die Organisations- und Weisungsstruktur auch von ambulanten Pflegediensten (vgl zu stationären Pflegeeinrichtungen BSG vom 7.6.2019 - B 12 R 6/18 R = BSGE 128, 205 = SozR 4-2400 § 7 Nr 44).

3. Für die daher im Sozialversicherungsrecht nur ausnahmsweise in Betracht kommende selbständige Tätigkeit einer von ambulanten Pflegediensten beauftragten Honorarpflegekraft muss daher eine Mehrzahl gravierender Indizien gegeben sein, die geeignet sind, die regulatorischen Vorgaben im Rahmen der statusrechtlichen Abwägungsentscheidung zu überwiegen.

 

Orientierungssatz

Die vom BSG für den stationären Pflegesektor aufgestellten Grundsätze zur Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status von vermeintlich freiberuflich tätigen Honorarpflegekräften sind auf die statusrechtliche Abwägungsentscheidung betreffend Pflegekräfte im Bereich der ambulanten Pflege übertragbar (Anschluss an LSG Hamburg vom 24.9.2019 - L 3 R 14/18 = juris RdNr 55).

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 24. November 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die durch die Beklagte erfolgte Feststellung der Sozialversicherungspflicht aufgrund ihrer, der Klägerin, Tätigkeit als Pflegekraft für die Beigeladene zu 1), die einen ambulanten Pflegedienst betreibt.

Die 1963 geborene Klägerin ist gelernte Altenpflegerin, die Anerkennung durch die Behörde für Schule und Berufsbildung der Freien und Hansestadt Hamburg erfolgte am 29. Januar 1987. Am 2. Juli 2009 erfolgte durch die dortige zuständige Behörde die staatliche Anerkennung als Leitende Pflegefachkraft. Nachdem die Klägerin in den Jahren 1987 bis 2012 in verschiedenen Alten- und Pflegeheimen - nur unterbrochen durch eine Elternzeit - beschäftigt war, übte sie ihre Tätigkeit als Pflegerin seit dem 1. März 2012 für verschiedene Auftraggeber auf Honorarbasis aus. Dazu trat sie unter der Firma „B. - B...“ mittels Visitenkarten und Flyern werbend am Markt auf, schloss mit Auftraggebern, bei denen es sich sowohl um ambulante, als auch um stationäre Pflegeeinrichtungen handelte, Verträge über bestimmte Pflegeeinsätze ab und stellte den Auftraggebern ihre Leistungen nach gestaffelten Stundensätzen (26,50 EUR für werktägliche Einsätze, 27,50 EUR an Samstagen und Sonntagen und 28,50 EUR an Feiertagen) monatsweise in Rechnung.

Zum 1. März 2012 schloss die Klägerin für sich eine private Kranken- und eine private Rentenversicherung ab, zudem eine Berufshaftpflichtversicherung (zuvor war die Klägerin als Mitglied der Beigeladenen zu 2) gesetzlich krankenversichert). Sie entrichtete ab März 2012 auch Beiträge an die zuständige Berufsgenossenschaft. Ihre als freie Honorarkraft erzielten Einkünfte versteuerte sie als Einkommen aus selbständiger Tätigkeit. Sie besorgte sich auf eigene Rechnung Dienstkleidung, Handschuhe und Schutzkleidung, ferner auch das benötigte Desinfektionsmittel sowie Blutdruck- und Blutzuckermessgeräte sowie ein Stethoskop. Zu ihren Arbeitseinsätzen fuhr die Klägerin mit ihrem privaten PKW. Seit dem 5. Mai 2012 war sie auf diese Weise auch für die Beigeladene zu 1) tätig, die unter der Firma „A... Ambulante Pflege“ einen - durch Versorgungsvertrag im Sinne des § 72 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) zugelassenen - ambulanten Pflegedienst betreibt. Der zeitliche Umfang ihrer insoweit erbrachten ambulanten Pflegedienstleistungen richtete sich nach dem jeweiligen Arbeitsbedarf der Beigeladenen zu 1) und variierte dementsprechend. So war die Klägerin im Dezember 2012 beispielsweise ausschließlich an den Tagen 24. - 26. Dezember in einem Gesamtumfang von 745 Minuten tätig und stellte der Beigeladenen zu 1) dafür 346,21 EUR in Rechnung, während sie im Oktober 2012 an 14 Tagen für die Beigeladene zu 1) im Einsatz war und dafür insgesamt 3.900 Minuten zu einem Preis von 1.737,00 EUR abrechnete. Die Klägerin wurde nicht nur von der Beigeladenen zu 1) beauftragt, sondern daneben noch...

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