Entscheidungsstichwort (Thema)

Hinterbliebenenrentenanspruch. Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe. erneute Eheschließung. Motive der Eheschließung. Vernehmung des Standesbeamten

 

Orientierungssatz

1. Der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet im Rahmen der Frage nach dem Vorliegen einer Versorgungsehe nicht zur Vernehmung des Standesbeamten zu den weiteren Umständen der Eheschließung, insbesondere zum Inhalt der Vorgespräche und der Motivation der Eheleute (vgl BSG vom 14.5.1996 - 4 RA 60/94 = BSGE 78, 207 = SozR 3-2600 § 43 Nr 13). Ein dahingehender Beweisantrag zielt auf eine unzulässige Ausforschung ab, weil noch nicht einmal eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich die Eheleute dem Standesbeamten gegenüber zu den Motiven der Eheschließung geäußert haben könnten.

2. Nach den im Zivilprozessrecht entwickelten Grundsätzen zielt ein Ausforschungsantrag darauf ab, bisher unbekannte Tatsachen zwecks genauen Vorbringens in Erfahrung zu bringen (vgl BGH vom 5.4.2001 - IX ZR 276/98 = NJW 2001, 2327). Im sozialgerichtlichen Verfahren liegt ein Ausforschungsbeweis vor, wenn ihm die Bestimmtheit bei Angaben der Tatsachen oder Beweismittel fehlt, oder aber der Beweisführer für seine Behauptung nicht genügend Anhaltspunkte angibt, und erst aus der Beweisaufnahme die Grundlage für seine Behauptungen gewinnen will (vgl BSG vom 19.9.1979 - 11 RA 84/78). Gleiches gilt, wenn der Zeuge über völlig aus der Luft gegriffene Behauptungen Aussagen machen soll, die allein den Zweck haben, die Partei erst über ihr unbekannte Vorgänge und Sachverhalte zu informieren (vgl BSG vom 19.11.2009 - B 13 R 303/09 B).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 19.10.2011; Aktenzeichen B 13 R 33/11 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 16. Dezember 2008 und der Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2006 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Witwenrente aus der Versicherung

des am 16. April 2005 verstorbenen Versicherten W. S. zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden

Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwenrente.

Die 1939 geborene Klägerin war mit dem im selben Jahr geborenen und am 16. April 2005 verstorbenen Versicherten W. S. (Versicherter) zweimal verheiratet. Die erste Ehe mit dem Versicherten wurde am 16. Mai 1986 geschlossen und mit Urteil des Amtsgerichts Pinneberg vom 22. Oktober 1993 geschieden. In diese Ehe hatte die Klägerin ihre beiden Kinder aus einer vorangegangenen Ehe, die Zeugen C. und T., mitgebracht.

Im Mai 2002 wurde bei dem Versicherten ein Hirntumor diagnostiziert, der im Juni 2002 wegen der Nähe zum Zentralhirn nur teilweise operativ entfernt werden konnte. Histologisch wurde seinerzeit ein anaplastisches Astrozytom Grad II festgestellt. Postoperativ bestanden beim Versicherten zunächst keine neurologischen Auffälligkeiten. Im Oktober 2002 traten generalisierte Krampfanfälle auf, die trotz medikamentöser antikonvulsiver Therapie gehäuft und generalisiert in Erscheinung traten, begleitet von kurzzeitig auftretenden Hemiparesen rechts. Die in der Folgezeit durchgeführten radiologischen Untersuchungen zeigten eine leichte Größenzunahme des Resttumors und ein fortgeschrittenes Hirnödem. Deshalb erfolgte am 26. Juni 2003 ein weiterer operativer Eingriff, bei dem erneut ein Teil des Tumors entfernt wurde. Die histologische Untersuchung des entnommenen Gewebes ergab nunmehr ein anaplastisches Astrozytom Grad III mit gemischtzelligen Anteilen. Aufgrund der Malignität des Tumors wurde bis September 2003 eine Strahlentherapie durchgeführt. Anschließend erfolgte eine onkologische Tumornachsorge in der Reha-Klinik Sa. Sb. GmbH. Bei Aufnahme litt der Versicherte an gelegentlichem Schwindel, einer leichten Gangunsicherheit bei deutlicher allgemeiner Schwäche, Gedächtnisstörungen und einer leichten Aphasie. Nach dem ärztlichen Entlassungsbericht vom 1. Dezember 2003 besserten sich die Befunde nicht wesentlich. Am 26. April 2004 erfolgte in der neurochirurgischen Ambulanz des A. Krankenhauses Ab. eine radiologische Nachuntersuchung des Versicherten, weil er über einen weiterhin bestehenden Kopfdruck klagte. Die Magnetresonanztomographie zeigte einen mit Flüssigkeit gefüllten Substanzdefekt mit kleineren soliden Tumoranteilen im Bereich der vorderen und hinteren Tumorbereiche. Ab Oktober 2004 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Klägers aufgrund des fortschreitenden Tumorgeschehens zunehmend. Er musste mehrfach stationär behandelt werden und erhielt von November 2004 bis zu seinem Ableben im April 2005 Leistungen aus der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III.

Seit Juni 2003 wohnte der Versicherte bereits wieder bei der Klägerin. Im Dezember 2003 bezogen sie gemeinsam eine neue Wohnung und meldeten am 4. Mai 2004 beim Standesamt der Stadt P. die Eheschließung an, die am...

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